Kaum ein Sänger der Gegenwart hat so nachhaltig zur Popularisierung des romantischen Kunstlieds beigetragen wie Thomas Quasthoff. Vor allem mit seinen Schubert-Interpretationen hat er sich unsterblich gemacht und eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass das Lied lebt. Die Themen des Kunstlieds, bemerkte Quasthoff einmal gegenüber Thorsten Schmidt, seien alles andere als veraltet. “Der Wunsch nach Ruhe, nach Liebe, nach Seelenausdruck” besitze eine größere Bedeutung, als gemeinhin angenommen werde.
Quasthoffs gefeierte Auftritte in Verbier können als starker Beleg für seine Einschätzung gelten. Der große Bassbariton hat das Publikum auf dem legendären Klassikfestival in den Walliser Alpen ein ums andere Mal mit romantischem und spätromantischem Liedrepertoire begeistert. Aber auch mit geistlichen Arien vermochte er auf dem von Martin Engstroem gegründeten Kultevent Gänsehautstimmung zu erzeugen. Sein gerade erschienenes Live-Album ist ein beredtes Zeugnis hierfür.
Natürlicher Gefühlsausdruck
“Thomas Quasthoff in Verbier (Volume I)” enthält neben orchestrierten Liedern von Schubert und den “Liedern eines fahrenden Gesellen” von Gustav Mahler auch Bachs vollständige Solokantate “Ich will den Kreuzstab gerne tragen”. Bei den Arien von Bach imponiert die Entschiedenheit, mit der Quasthoff die geistlichen Inhalte zum Ausdruck bringt. Sein Gesang wirkt tröstend, obgleich die Bach-Arien fortwährend um das Leiden und die Endlichkeit des Menschen kreisen.
Durch die Mahler-Lieder, Zeugnisse schmerzlicher Verliebtheit, bewegt sich Quasthoff in einem Ton gravitätischer Nachdenklichkeit. Dagegen kultiviert er in den fünf Schubert-Liedern, bei aller Schwere des Inhalts, einen gelasseneren Stil. Um der Trauer in einem Lied wie “Tränenregen” oder der Verlorenheit des einsamen Wanderers in “Der Wegweiser” Ausdruck zu verleihen, setzt er keine großen Gesten ein, sondern verlässt sich instinktsicher auf den natürlichen Gefühlsausdruck seines Gesangs.
Der fein austarierte Klang des Verbier Festival Orchestra unter der Leitung von Christoph von Dohnányi hat sich bei diesen beiden Liedern, die Anton Webern subtil orchestriert hat, in besonderer Weise bewährt. Thomas Quasthoff hat die Schubert-Lieder bei seinem ersten Auftritt in Verbier 2003 vorgetragen, wo er sich von Anfang an aufgenommen und heimisch fühlte. Dass er dort angekommen war, merkt man den Live-Mitschnitten an.