Trevor Pinnock gilt als Wegbereiter der historischen Aufführungspraxis. Der Name des britischen Cembalisten und Dirigenten ist eng verbunden mit der Archiv Produktion, dem Label für Alte Musik unter dem Dach der Deutschen Grammophon. Dort glänzte Pinnock seit Ende der 1970er Jahre mit zahllosen Referenzaufnahmen barocken Repertoires, darunter Kultalben wie seine durch kristalline Klarheit bestechende Cembalo-Interpretation der 6 Partiten von Bach, seine ebenso grazile wie erhabene Aufnahme von Händels Messiah mit dem Ensemble The English Concert und dem English Concert Choir oder seine funkensprühende Darbietung von Vivaldis “Vier Jahreszeiten” mit dem britischen Geigenvirtuosen Simon Standage. Nicht zu vergessen sind seine furiosen Darbietungen englischer Barockconcerti, die sich beim Publikum großer Beliebtheit erfreuen.
Pinnock hat maßgeblichen Anteil an der heutigen Popularität barocker Musik. Darüber hinaus ist er aber auch als Interpret klassischer, romantischer und moderner Literatur in Erscheinung getreten. So nahm er Mozart, Mahler und Bruckner auf und widmete sich herausragenden Gestalten der musikalischen Avantgarde wie Robert Gerhard oder Frank Martin.
Pinnocks frühe Prägung als Chorknabe
Es behage ihm nicht, so Pinnock gegenüber dem Magazin Mount Dela, “in die Schublade des Spezialisten für Alte Musik gesteckt zu werden”. Er habe sich immer und vor allem als Musiker verstanden, “mit einer großen Liebe für Alte Musik”. Diese Liebe, die sein Schaffen bis heute prägt, wurde schon früh in ihm geweckt. Pinnock erlebte bereits als Chorknabe in der Kathedrale von Canterbury den emotional überwältigenden Klangreichtum der Renaissance- und Barockmusik. Es war kein nostalgisches Motiv, das ihn zu der Frage bewog, wie diese Musik zu Lebzeiten der jeweiligen Komponisten geklungen haben mochte. Pinnock suchte den Kontakt mit der Vergangenheit, um den lebendigen Atem der Alten Musik zu spüren und diese Erfahrung für die Gegenwart fruchtbar zu machen.
1972 gründete Pinnock die Gruppe “The English Concert”. Mit dem Ensemble bestritt er den Großteil seiner mitreißenden Aufnahmen für die Archiv Produktion. Der frische Klang des Orchesters, dessen tänzerischer Schwung und die Virtuosität der Musizierenden auf den alten Instrumenten sorgten weltweit für Begeisterung. “Seine Bach- und Händel-Aufführungen”, urteilte etwa Leonard Bernstein über Pinnock, “hauen mich um.”
Späte Aufnahme des “Wohltemperierten Klaviers”
2003 zog sich der Musiker von der Leitung seines heimischen Ensembles zurück, um sich fortan verstärkt seiner Rolle als Cembalovirtuose zu widmen. Als sein wichtigstes Projekt auf diesem Feld darf seine Gesamteinspielung von Bachs “Wohltemperiertem Klavier” gelten, dessen erster Teil im Vorjahr erschien. Im April kommenden Jahres soll dann der bereits mit Hochspannung erwartete zweite Teil folgen.
Pinnock ist fasziniert von der musikalischen Radikalität Bachs. Der Komponist breche “manchmal bewusst aus den Konventionen der Zeit” aus, so der Cembalist in einem bewegenden Videoblog, in dem er bekennt, sich einer vertieften Bach-Expertise lange Zeit nicht sicher genug gewesen zu sein, um ein so gewaltiges Vorhaben wie die Aufnahme des “Wohltemperierten Klaviers” in Angriff zu nehmen.