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Geheimnisvolle Serenade

08.10.2004
Die Vergangenheit ist noch immer voller Überraschungen. Als der französische Musikwissenschaftler Olivier Fourés im April 2002 im Archiv des Conservatorio Benedetto Marcello die Handschift einer anonymen Serenade entdeckte, hatte er bereits eine Ahnung. Sie bestätigte sich und verwies auf Antonio Vivaldi als wahrscheinlichen Autor des Werks, was wiederum Fachkreise in Entzücken versetzte. Andrea Marcon nahm das Fundstück in das Repertoire seines Venice Baroque Orchestra und so entstand unter Zusammenwirken diverser günstiger Umstände die Aufnahme von “Andromeda Liberata”.
Der Barock liebte die Verkleidung. Anachreonten zogen sich Schäfergewänder an, mächtige Potentaten sahen mit ihren Perücken und opulent verzierten Gehröcken aus wie dem Kostümverleih entsprungen. Ein Grimmelshausen versteckte sich hinter der vermeintlichen Thumbheit seines Simplizissimus, ein Rubens würzte seine großformatigen Akte mit reichlich Metaphorischem aus der Mythologie. Überall fanden sich Momente der Uneigentlichkeit und so wundert es kaum, dass auch mancher vordergründig verständliche Text mehrere Ebenen der Deutung haben konnte. Die Handlung der Serenade “Andromeda Liberata” zum Beispiel ist auf der einen Seite ein eher weit hergeholter Rekurs auf die Sagenwelt der Antike. Sie setzt ein, als Perseus die zum Opfer an einen Felsen gekettete Königstochter Andromeda vor einem Seeungeheuer gerettet hatte und als dank dafür zur Frau versprochen bekam. Dort wo die frühere Handlung ihren Höhepunkt überschritten hatte, machte der Librettist nun weiter und führte allerlei Verwirrungen wie den Jüngling Daliso ein, die der Hochzeit entgegen stand. Gegen Ende aber fanden sich die beiden Protagonisten dann doch, ein Happy-End, wie es das zerstreuungsgewohnte Barock-Publikum mochte. Allerdings könnte die Handlung auch für etwas anderes stehen. Am 21.Juli 1726 kehrte der kunstliebende Kardinal Pietro Ottoboni in seine Heimatstadt Venedig zurück, nach 14 Jahren der Verbannung, weil er mit den Franzosen paktiert hatte. Da das Manuskript aus dieser Zeit stammte und noch dazu eine Serenade gerne zu ebensolchen Feierstunden wie einer glanzvollen Rückkehr aufgeführt wurde, liegt die Annahme nahe, dass “Andromeda Liberata” sich indirekt auf dieses Ereignis bezogen haben könnte.
 
Rätsel jedenfalls gibt es noch genug. So ist auch die Urheberschaft nicht geklärt. Es konnte über die Analogie der Arie “Sovvente il sole” mit einer bereits bekannten Handschrift Vivaldis nachgewiesen werden, dass er zumindest für einen Teil der Musik verantwortlich gewesen sein muss. Ob die Serenade komplett von ihm stammt oder ein Pasticcio verschiedener Urheber darstellt, ist noch unsicher. Fest steht hingegen, dass “Andromeda Liberata” für den Cembalisten und Orchesterleiter Andrea Marcon attraktiv genug ist, um als Einstand bei der Deutschen Grammophon herzuhalten. Gemeinsam mit seinem hervorragenden Venice Baroque Orchestra und nicht minder ausgezeichneten Solisten wie Simone Kermes in der Titelrolle und Max Emanuel Cencic als Perseus gelingt ihm auf diese Weise ein ungewöhnlich eleganter Einstieg in die Repertoirewelt des etablierten Labels. Denn Marcons Vivaldi sprüht von Energie, vor Spaß an der Faszinationskraft des ungewöhnlichen Werkes. Und so gibt es wieder etwas zu entdecken aus der Welt des 18.Jahrhundert, etwas Frisches aus der Komponierwerkstatt eines der arriviertesten Zeitgenossen der frühneuzeitlichen Konzertmusik.

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