Mit der Moderne wurde der Virtuose als aus sich selbst heraus schaffendes Genie erfunden. War er zuvor ein Dienstleister, der sein Können zur Zerstreuung der höfischen Aristokratie darbot, wurde er mit dem Aufstieg des Bürgertums zum Wert an sich, zur Sinnstiftung innerhalb des Systems künstlerisch überhöhter Leistungsethik.
Die Komponisten und Instrumentalisten passten sich an, wurden immer komplizierter und anspruchsvoller, aber auch ironischer und innovativer. Und nicht jede Neuerung wurde sofort vom Publikum verstanden. “Moderne Klassiker” sucht daher bei den Paradeinstrumenten der Konzertkultur Klavier, Geige und Stimme nach verborgenen Meisterwerken und hält manches Hörjuwel zur Entdeckung bereit.
Auch Benjamin Britten saß dem Mythos des Virtuosen auf. Seiner jugendlichen Meinung nach müsste er nur ein Klavierkonzert komponieren und es dem Londoner Publikum mit der passenden Bravour vorstellen, und schon hätte er den Durchbruch geschafft. Leider aber ging die Strategie nicht auf. Kurz vor dem Ausbruch der zweiten Weltkrieges hatte die britische Welt anderes im Sinn als einen neuen Pianostar. Das Konzert von 1938 blieb weitgehend unbeachtet und der 25jährige, ehrgeizige Britten zog beleidigt nach USA um. Das wiederum war ebenfalls ein problematischer Schritt. Zum ersten lebte er in der Ferne ohne Vorbehalte mit seinem damaligen Freund zusammen. Noch dazu hatte er keine Lust, sich in das Waffengetümmel der Epoche zu stürzen. Erst nach 1945, als er mit seiner Oper “Peter Grimes” wieder in seiner Heimat auf sich aufmerksam machte, wurden ihm schrittweise die vermeintlichen Sünden von der Öffentlichkeit verziehen. Im Nachhinein wundert man sich umso mehr, denn bereits das “Klavierkonzert op.13” dokumentierte einen cleveren, ideenreichen Klangtüftler, der schließlich zum wichtigsten englischen Komponisten des vergangenen Jahrhunderts werden sollte. Und der daher auch am Anfang der Klavierfolge der Reihe “Moderne Klassiker” steht.
Neben Britten nimmt die Sammlung dessen großes Vorbild Dimitri Schostakowitsch mit einem Präludium und einer Fuge auf, außerdem eine ebenso beeindruckende wie unterhaltsame Paganini-Variation von Witold Lutoslawski mit Martha Argerich und Nelson Freire als Solisten, schließlich noch die “Dances gotiques” des Diskurs-Sonderlings Erik Satie. Vier Seiten einer Klavierepoche, die sich aus aktueller Sicht weit weniger disparat präsentiert als den Zeitgenossen gegenüber.
Dasselbe gilt für die anderen beiden Lieblingsinstrumente der Konzertsaalklassik, Stimme und Geige. Der Gesang zum Beispiel erfuhr seit den Anfängen der Kunstliedes eine enorme Veränderung sowohl in der Ausdruckstechnik wie auch der Wertschätzung. Das zeigt die weitgliedrige Zusammenstellung der “Modernen Klassiker” mit verblüffender Deutlichkeit. Denn der Weg von Mahlers “Rückert-Liedern” über Bruckner, Wagner, Strauss bis hin zu Korngold und Ligeti dokumentiert eine Beschleunigung der Entwicklung, die viele Vorsprünge überholt, die sich andere Instrumente während langer gestalterischer Praxis herausgearbeitet hatten.
Für die Geige wiederum gilt, dass sie Komponisten der Moderne sie noch einmal neu entdeckt haben. Prokofieff, Krenek, Kabalewski, Williams – vier Namen, die mit Ausnahme des ersten noch immer wenig Raum in den Repertoirevorstellungen der zeitgenössischen Interpreten vorfinden. Sollten sie aber, wie die Violinen-Folge der “Modernen Klassiker” eindrucksvoll nahe legt.