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Beseeltes Publikum – Anja Lechner und Pablo Márquez in der Yellow Lounge

Pablo Márquez, Anja Lechner
© Stefan Höderath
15.11.2018
Wenn man sich fragt, was das Berliner Clubleben so reizvoll macht, dann denkt man zuerst an die wilde Energie, die nicht enden wollende Tanzbereitschaft der Leute. Das romantische Kunstlied, der empfindsame Ausdruck sehnsuchtsvoller und träumerischer Stimmungen, erscheint auf diesem Hintergrund eher wie ein Kontrastprogramm.

Erstes gemeinsames Album: Anja Lechner und Pablo Márquez

Das Berliner Publikum konnte sich am gestrigen Abend jedoch davon überzeugen, dass Franz Schubert im urbanen Clubleben angekommen ist. Die Liedkunst des romantischen Komponisten fügte sich jedenfalls glänzend in die Atmosphäre einer Location, die sonst eher mit härteren Beats aufwartet. Die Yellow Lounge, das bekannte Klassik im Club-Event, hatte in den Kreuzberger Szeneclub Gretchen geladen. Auf dem Programm stand ein Live-Act der deutschen Cellistin Anja Lechner und des argentinischen Gitarristen Pablo Márquez.
Die beiden Solisten haben gerade beim Münchener Kultlabel ECM New Series ihr erstes gemeinsames Album veröffentlicht. Die Neuerscheinung trägt den Titel “Die Nacht” und versammelt vornehmlich Liedmaterial von Franz Schubert in Arrangements für Violoncello und Gitarre. Reizvoll durchkreuzt wird das Programm durch Schuberts komplexe Arpeggione-Sonate und drei hinreißende Nocturnes von Friedrich Burgmüller, einem weithin unterschätzten Zeitgenossen von Franz Schubert. 

Intime Atmosphäre: Das Gretchen

Als Anja Lechner und Pablo Márquez gegen 22:00 Uhr die Bühne betreten, haben die beiden DJs Clé & Alex Barck den Club bereits mit dunklen Klangformationen in eine erwartungsvolle Stimmung versetzt. Das Gretchen verströmt eine warme Atmosphäre, in die man sich gerne flüchtet, wenn draußen ein feuchter Herbstwind weht, und die intimen Visuals, die die Pfadfinderei an diesem Abend besorgt, verstärken diesen lauschigen Effekt noch, den Lechner und Márquez sich zunutze zu machen wissen.
Der Auftakt mit Burgmüllers erstem Nocturne ergreift das Publikum merklich. Man sieht verträumte Gesichter. Die sanft fließende Melodie des Stücks setzt innere Wärmeströme in Bewegung. Friedrich Burgmüller mag vielleicht nicht die existenzielle Tiefe eines Franz Schubert haben. Dafür gehen seine Nocturnes direkt zu Herzen. Mit ergreifenden Liedern von Franz Schubert durchmisst das Duo anschließend erstaunliche poetische Schichten des romantischen Nachterlebens.

Südliche Kostbarkeiten: Lateinamerikanisches Repertoire

Absoluter Höhepunkt und gleichzeitiger Schlussakkord des ersten Programmteils: “Der Leiermann” aus Schuberts “Winterreise”. Lechner und Márquez haben das Lied neu für Violoncello und Gitarre arrangiert. Der ebenso melancholische wie meditative Ton, den die Cellistin an diesem Abend anschlägt, ist von atemberaubender Intensität. Anja Lechner wird später berichten, dass sie Schubert bereits im Elternhaus kennenlernte. Ihr Großvater begleitete die Lieder auf dem Klavier und der Gitarre, und da sie keine Sängerin geworden sei, könne sie dieser frühen Leidenschaft nun gemeinsam mit Pablo nachgehen.
Diese Urvertrautheit mit dem Repertoire spürte man während der gesamten Aufführung des Duos, das im zweiten Programmteil noch eine Reihe kostbarer Überraschungen bereithielt. Pablo Márquez stellte mit Werken von Alberto Ginastera und Carlos Guastavino seine ganze virtuose Klasse an der Gitarre unter Beweis. Das Adagio aus Schuberts Arpeggione-Sonate untermauerte einmal mehr die kantablen Fähigkeiten von Anja Lechner. Mit einem wehmütigen Stück von Carlos Guastavino und einem süffigen Walzer der Wiener Art entließen Lechner und Márquez schließlich ein sichtlich beseeltes Publikum in die Nacht.       
 

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