Eine laue Septembernacht auf dem Hamburger Kiez. An einem Mittwoch ist es am Spielbudenplatz so belebt wie sonst nur freitags oder samstags. Die Besucher des Reeperbahn Festivals eilen von Club zu Club, von Konzert zu Konzert. Wer diesem Trubel entkommen will, steigt die Treppen hinab in den Bahnhof Pauli. Dort taucht man zwischen Abluftschächten und Ventilatoren in eine abgeschottete Welt ein. Ein perfekter Ort für die Yellow Lounge, die am Eröffnungsabend beim Reeperbahn Festival gastiert. Mit zwei ganz besonderen Künstlern: dem Pianisten Joep Beving und dem Cellisten Peter Gregson. Beide stellen an diesem Abend eindrucksvoll unter Beweis, dass Klassik keine Grenzen gesetzt sind.
Den Auftakt macht Joep Beving mit seinem Stück “moonlight”, das erst 2019 auf seiner nächsten Veröffentlichung “Henosis” erscheinen wird. Seine Musik hüllt die Zuhörer ganz sanft ein wie eine warme Wolldecke. Sie entspannt ungemein, bereits nach wenigen Minuten fällt der Stress von einem ab. Genau darum geht es dem Holländer: Er will die schnelllebige Welt mit seinen meditativen Kompositionen entschleunigen. Einen Gegenpol zur Hektik des Alltags schaffen.
Das gelingt ihm auch, während er durch das Repertoire seiner beiden Alben “Solipsism” und “Prehension” streift, die bei Spotify inzwischen 85 Millionen Mal gestreamt wurden. Die Devise für seine Stücke lautet: Klarheit. Das “Weniger ist mehr”-Prinzip zieht sich als roter Faden durch Joep Bevings Klangkosmos. Wie der Minimalist Philip Glass verzichtet der 42-Jährige bei “Ab Ovo” oder “Sleeping Lotos” auf komplizierte Harmonien. Er setzt auf die Schönheit des Einfachen und gibt sich ihr beim Spielen mit geschlossenen Augen hin. Manchmal wird sein Gesicht mannigfach auf die Wände projiziert.
Zum Schluss holt der bärtige Hüne mit den verstrubbelten Haaren das Publikum mit den wunderbar perlenden Anschlägen seines Stücks “Hanging D”, das er für sein drittes Werk “Conatus” vom Cello Octet Amsterdam überarbeiten ließ, allmählich wieder in die Realität zurück. Für seine gelungene Darbietung bekommt er tosenden Applaus.
Den zweiten Teil der Veranstaltung bestreite
t Peter Gregson. Er bringt einige Stücke seiner Platte “
Recomposed by Peter Gregson: Bach – The Cello Suites”, die am 19. Oktober veröffentlicht wird, gemeinsam mit fünf weiteren Cellisten zur Uraufführung. Zu Beginn tragen die Musiker die wohl weltbekannte Prélude der Suite Nr. 1 vor. Mit warm singenden Celli erzeugen sie poetische Momente von flirrendem Reiz. Da entfalten sich delikat gesetzte Bogenstriche zu duftigen Melodiebögen. Klangschön gespielt.
Eigentlich könnte Peter Gregson, Jahrgang 1987, die Musik für sich sprechen lassen. Das genügt ihm aber nicht. “Sie fragen sich vielleicht, warum ich Bachs Werken neue Impulse gegeben habe”, wendet er sich an die Zuschauer. “Für mich sind sie wie eine dreidimensionale Skulptur, die Schatten wirft. Eben diese Schatten möchte ich erkunden.” Dabei steht dem Schotten zeitweilig ein Synthesizer zur Seite. Er ergänzt die Bourrées aus der Suite Nr. 4 oder die Gigue aus der Suite Nr. 6 um rhythmische Schraffuren. Mit anderen Worten: Die Ausdruckskraft der Musik wird durch die elektronischen erzeugten Klänge noch überhöht.
Diese Idee erschließt sich den Festival-Besuchern auf Anhieb. Spektakulär, wie Peter Gregson einen Grenzgang zwischen den Genres wagt. Seine unkonventionelle Annäherung an Bach macht Lust auf mehr. Sie lässt aufhorchen. Selbst jüngere Menschen, die vielleicht mit Klassik bis dato noch nicht so vertraut waren.