Yuja Wang ist bekannt für ihr furioses Klavierspiel. Die weltberühmte Pianistin, die bereits im frühen Kindesalter am Pekinger Musikkonservatorium Klavier zu studieren begann, bevor sie im Alter von 14 Jahren ihre Studien in Kanada fortsetzte, hat sich als berufene Interpretin virtuoser Klavierliteratur einen Namen gemacht. Dabei besitzt technische Perfektion keinen Selbstzweck für sie. Als wichtigsten Inhalt ihres Musizierens betrachtet sie den Ausdruck von Emotionen.
Wang, die mit ihrer überwältigenden Bühnenpräsenz für Aufsehen gesorgt hat und deren jugendlich-wildes Charisma ihr Publikum elektrisiert, möchte am liebsten das ganze Leben in die Musik hineinnehmen. Das gelingt ihr bei kaum einem anderen Komponisten so umfassend, so hingebungsvoll, so farbintensiv und so begeisternd wie bei Rachmaninoff, mit dessen Werk sie bereits seit Beginn ihrer Laufbahn engstens vertraut ist.
Die großflächigen Klanglandschaften, das schier unerschöpfliche Reservoir an originellen Melodien und die komplexen Harmonien des russischen Komponisten scheinen wie gemacht für die in New York lebende Ausnahmepianistin.
Rachmaninoffs Delikatesse
Mit Anfang 20 sprach sie gegenüber dem Musikjournalisten Tim Parry von dem “gewissen ‚Pep‘”, den man benötige, um etwa das dritte Klavierkonzert von Rachmaninoff zu interpretieren. Heute findet sie, wie jüngst in der Titelgeschichte des britischen Klassikmagazins Gramophone zu lesen war, das besagte Concerto “eher delikat, fast schon Mendelssohn-artig”. Dieses feinfühlige Interesse an Rachmaninoffs Musik spiegelt sich auch auf ihrem neuen Live-Doppelalbum, das neben der Paganini-Rhapsodie von 1934 alle vier Klavierkonzerte des russischen Spätromantikers versammelt.
Die Mitschnitte der Deutschen Grammophon stammen von frenetisch gefeierten Auftritten, die Yuja Wang in diesem Jahr mit dem Los Angeles Philharmonic unter der Leitung von Gustavo Dudamel in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles absolvierte. In der kalifornischen Kulturmetropole verbrachte Rachmaninoff die letzten Monate seines Lebens. Die beiden restlos ausverkauften Konzerte fanden im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag von Sergei Rachmaninoff statt.
“Auf den Orchesterwellen surfen”
Die feierliche Stimmung ist auf dem Album jederzeit spürbar. Die Atmosphäre ist flirrend, gespannt. Yuja Wang und Gustavo Dudamel nutzen das Momentum und bieten die vier Konzerte hinreißend flamboyant und leidenschaftlich dar. Neben der energetischen Wucht besticht der poetische Tiefsinn. Zu den Highlights gehört das berühmte Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll von 1909. Im Kopfsatz berührt der sanfte Fluss der Darbietung. Im darauffolgenden Adagio ist die melancholische Tiefe des Ausdrucks atemberaubend.
Viel Abwechslung bietet die Paganini-Rhapsodie, die aus 24 Variationen über ein Thema aus Paganinis 24 Capricci für Solovioline besteht. Bei diesem Werk bewährt sich die tänzerische und rhythmische Begabung von Yuja Wang und ihre Fähigkeit, blitzschnell zu reagieren. Die brillante Pianistin liebt es, “auf den Orchesterwellen zu surfen”, was ihr mit dem LA Phil, das unter Dudamel eine unbändige Begeisterungsfähigkeit entwickelt hat, glänzend gelingt.