Zsófia Boros besitzt einen untrüglichen Instinkt für ausgewogene Klänge. Die 1980 in Prag geborene Gitarristin trifft den besonderen Ton, der zu einer bestimmten Musik passt. Deshalb wird sie in den Feuilletons immer wieder, und das mit Recht, für ihre intuitiven Qualitäten gelobt. Eine sichere und fein aufeinander abgestimmte Griff- und Anschlagtechnik hat sie sich schon früh angeeignet. Man merkt ihrem Spiel an, dass sie sich hierauf nicht zu konzentrieren braucht.
Sie kann das Augenmerk auf den poetischen Gehalt der Musik legen, und dem widmet sie sich unverkrampft, zart tastend und mit nicht zu bändigender Entdeckerfreude. Ihr vor drei Jahren erschienenes ECM-Debüt “En otra parte” (“Anderswo”) lieferte bereits ein eindrucksvolles Zeugnis für die musikalische Fruchtbarkeit ihrer intuitiven Tugenden. Jetzt legt die ungarischstämmige, in Wien lebende Musikerin ihr zweites ECM-Album vor und begibt sich dabei auf eine internationale Entdeckungsreise.
Breites Klangspektrum: Eine Entdeckungsreise von Zsófia Boros
Hatte sie sich bei ihrem ECM-Debüt vornehmlich auf Werke von Leo Brouwer konzentriert, so greift sie auf ihrem neuen Album weiter aus. Das Klangspektrum reicht von tanzfreudigem Milonga über poetisch-nachdenkliche Stücke bis hin zu jazzartigen Episoden. Zsófia Boros durchmisst modernes Gitarrenrepertoire aus insgesamt fünf Ländern: Frankreich, Brasilien, Argentinien, Italien und Aserbeidschan. Doch bei aller Klangvielfalt zerfleddert das Album am Ende nicht, sondern lässt Muster erkennen.
Zsófia Boros versteht es, die Hörerinnen und Hörer behutsam an die Hand zu nehmen und durch das Album zu führen. Obwohl man mit höchst unterschiedlichen Klangwelten konfrontiert wird, erkennt man sogleich den inneren Zusammenhang des Repertoires. Die Schnittmenge ist das experimentelle, entdeckungsfreudige Moment, die Lust an neuen Klängen, die mal in meditative, mal in elegische, mal in leidenschaftlich ausbrechende Stimmungen einmünden.
Modernes Gitarrenrepertoire: Poetische Feinheiten
Über weite Strecken klingt “Local Objects” eher ruhig und konzentriert. Doch das Album wartet immer wieder mit Überraschungen auf. Hatte man sich in Stücken wie “Nocturne” von Mathias Duplessy oder dem melancholischen “Celebração de Núpcias” von Egberto Gismonti schon auf eine im Wesentlichen stille Atmosphäre eingestellt, so wird man in Domeniconis vierteiligem “Koyunbaba” allmählich in ein spannungsgeladenes Flirren hinübergeführt. Das Stück beginnt nachdenklich, mit verträumten Melodien, doch nach und nach füllt es sich mit sehnsuchtsvoller Erwartung an, die sich im abschließenden Presto offenherzig Ausdruck verschafft.
Mit “Milonga” von dem Argentinier Jorge Cardoso folgt ein stiller Tanz, den Zsófia Boros mit einem eigenen, zurückhaltenden Intro versehen hat. Das hat sie auch mit “Inspiração” des Brasilianers Anibal Augusto Sardinha getan. Hier lässt sie sich mit hellen Tönen viel Zeit, um langsam zur Melodie von Sardinha überzugehen. “Ich wollte”, so die Gitarristin selbst, “nicht direkt in den Raum eintreten, in dem die Geschichte stattfindet. Ich wollte zuerst in den Garten gehen, um die Blumen zu sehen.” Wie der Gang durch einen Garten mit einer Vielfalt von Beeten und Pflanzen mutet auch das neue Album von Zsófia Boros an, die dem Hörer unaufdringlich die harmonischen Schönheiten moderner Gitarrenliteratur nahebringt.