Vor vierundvierzig Jahren erschien bei Decca eine LP des Los Angeles Philharmonic Orchestra unter dem Titel “Concertos in Contrast”. Auf dem Programm standen Haydn, Weber, Vivaldi und Wieniawski – größer war der musikgeschichtliche Bogen kaum zu spannen. Am Dirigentenpult stand Zubin Mehta. Und auch wenn der Titel der Platte es nicht unbedingt intendierte – gewissermaßen war er wie ein Credo Zubin Mehtas: “Concertos in Contrast” – ein Name, ein Programm. Die enorme Vielseitigkeit des Orchesters, seine vorbehaltlose Bereitschaft, diesem Dirigenten und seinen musikalischen Ambitionen zu folgen – seine musikalische Entwicklung und seine Erfolge schließlich sind sprichwörtlich mit Händen zu greifen.
Aus der Perspektive des Orchestermusikers
Als Zubin Mehta, gerade achtzehnjährig, 1954 nach Wien kam, um an der dortigen Musikakademie Kontrabass, Klavier und Komposition zu studieren, dauerte es gerade mal ein Jahr, dass ihn der große Dirigentenlehrer Hans Swarowsky in seine Klasse aufnahm. Damit war die Laufbahn des jungen, außerordentlich begabten Dirigenten schon absehbar. Früh gründete er ein kleines Orchester, spielte während der ganzen Studienzeit im Wiener Kammerorchester Kontrabass. Mit seinem Studienfreund Claudio Abbado sang er gemeinsam in den großen Aufführungen des Wiener Singvereins unter Bruno Walter, Herbert von Karajan und Karl Böhm. Nicht nur lernte er dabei diese Dirigenten kennen. Zugleich erhielt er damit den für den Dirigenten so nötigen Blick aus der Perspektive des Orchestermusikers und Sängers‚ den er sich bewahrte.
Nach seinem Examen 1958 in Wien und dem im selben Jahr gewonnen Internationalen Musikwettbewerb in Liverpool begann seine Karriere zunächst mit einer Position als Assistent Conductor bei John Pritchard. Über das Montreal Symphony Orchestra (1960) führte ihn sein Weg schließlich nach Los Angeles, wo er eigentlich eine Assistentenstelle bekommen hatte. Nachdem das Orchester ihn jedoch beim Dirigieren erlebt hatte, war es so begeistert, dass es ihm anbot, vier Konzerte für den erkrankten Fritz Reiner zu dirigieren. Georg Solti, dessen Chefdirigentenstelle zur gleichen Zeit beginnen sollte, trat aus Protest gegen diese Entscheidung seinen Posten gar nicht erst an. 1962 berief das Orchester Zubin Mehta auf diese Position, die er schließlich 16 Jahre innehaben sollte. Diese Zeit war von dem Bemühen Mehtas geprägt, das Orchester zu formen und es so mit den anderen großen amerikanischen Orchestern in Boston, Philadelphia oder New York konkurrenzfähig zu machen.
Inbegriff des “Decca Sounds”
Begleitet war Mehtas Wirken von einer Vielzahl an Schallplattenaufnahmen für Decca – das Los Angeles Philharmonic Orchestra war immerhin das erste amerikanische Orchester, das von einem englischen Label unter Vertrag genommen wurde. Das für Decca eingespielte Repertoire umfasst beinahe den gesamten Kanon der seinerzeit üblichen Werke, etwa von Beethoven, Bruckner oder Mahler, über Tschaikowski, Verdi, Liszt und Holsten, bis in die Moderne, mit Bernstein, Schönberg oder Varése.
Die
Royce Hall war ihr Aufnahmeort dafür. Vor jeder Produktion wurde das Theater tagelang aufwändig in ein komfortables Aufnahmestudio umgebaut. Simon Eadon, Toningenieur bei Decca, erinnert sich an die Aufnahmen für ein sehr spezielles Album, das ebenfalls in dieser Box enthalten ist: Die “
Star Wars”- Suite von
John Williams. Es sorgte bei allen Beteiligten für erhöhten Adrenalinspiegel, denn Decca setzte gewaltige Erwartungen in dieses Album. Es sollte nach den großen Kassenerfolgen von George Lucas’ “Star Wars” und Steven Spielbergs Science-Fiction-Film “Unheimliche Begegnung der dritten Art” möglichst schnell in den USA veröffentlicht werden. Dass schließlich die Aufnahmen in der Royce Hall für ihre Klangqualität hoch gelobt wurden, führt Eadon auf das “erstklassig klingende Orchester mit einem Dirigenten, der seine Kräfte ausgleichen kann” zurück, sowie auf den Saal, der diesen Klang unterstützt und verbessert. Die Kompetenz und der Erfindungsreichtum von Aufnahmeleitern wie
John Culshaw und seiner Toningenieure Gordon Parry und James “Jimmy” Lock, die zu den Aufnahmen aus London anreisten, waren für Eadon der Inbegriff des “Decca Sounds” in Aktion. Als Zubin Mehta zum Beispiel im August 1969 die Tschaikowsky-Ouvertüre “1812” mit dem LA Phil aufnahm, suchten und fand Culshaw tatsächlich die Möglichkeit, bei einer Militäreinheit in der Gegend, echte Kanonen abfeuern zu lassen, um diese Aufnahmen später in die endgültigen Bänder einzubauen.
Die jetzt veröffentlichte 38-CD-Box mit Zubin Mehta demonstriert mit neuen Remasterings – etwa der Meilensteinaufnahmen von Mahlers und Saint-Saëns' dritter Symphonie, Ravel-Orchesterwerken, den Sinfonischen Dichtungen eines Richard Strauss – nicht nur die hohen, legendären Standards einer ganz besonderen Aufnahmekultur, sie ist zugleich ein Zeugnis des Bemühens dieses Dirigenten, um folgende Publikumsgenerationen der Klassischen Musik."Feierliche Feierlichkeit allein reicht nicht aus, um die jüngere Generation zu gewinnen. Das wertvolle musikalische Erbe, für das wir verantwortlich sind, verdient eine sorgfältige Prüfung. Wir müssen einfach neue Wege finden, um unser Interesse an klassischer Musik zu wecken." Ergänzt wird diese Ausgabe durch einen sehr lesenswerten Beitrag des Produzenten Cyrus Meher-Homji.