Wilhelm Furtwänglers Ausstrahlung als Dirigent, als Mittler zwischen Komponist, Werk und Publikum sucht ihresgleichen. Untrennbar mit seinem Namen sind die Berliner Phiharmoniker, deren Chefdirigent er 1922 als Nachfolger von Arthur Nikisch wurde. Mit ihm war er in den 1930er Jahren zu Weltruhm gelangt, auf den später der Schatten seiner Verstrickung in die Kulturpolitik der Nationalsozialisten fiel. Bis zu deren Aufklärung nach dem Krieg erhielt Furtwängler Berufsverbot. In einem Entnazifizierungsverfahren freigesprochen, kehrte er 1947 an das Pult der Berliner Philharmoniker zurück.
Dem Wirken und der Persönlichkeit Wilhelm Furtwänglers hat die Deutsche Grammophon nun anläßlich seines 65. Todestages eine eindrucksvolle neue Box gewidmet. Sie ist umfänglicher Beleg für das Wirken eines Dirigenten, Komponisten, Theoretikers, der sich Zeit seines Lebens Gedanken über die Wechselwirkung von Künstler und Publikum machte. “Größtmögliche Klarheit ist denn auch die einzige Art, wie der Künstler der Tatsache ‘Publikum’ Rechung tragen kann…”, schreibt er in seinen 1949 erschienenen Gesprächen über Musik. “Freilich setzt das eines voraus: nämlich dass man etwas zu sagen hat, d.h., dass man es wagen kann, sich gleichsam nackt, ohne jede Hülle zu zeigen, wie man ist.”
Die allererste Aufnahme 1926: Beethovens “Fünfte”
Die neue, 34 CDs und eine DVD bzw. sieben e-Alben umfassende Ausgabe von Deutsche Grammophon bietet einen chronologischen Überblick über Wilhelm Furtwänglers charakteristische Interpretationen in jeder Phase seiner Karriere. Die Werkliste reicht von seiner allerersten Aufnahme, der Interpretation von Beethovens Symphonie Nr. 5 mit den Berliner Philharmonikern aus dem Jahr 1926, bis hin zu jener Aufnahme von Brahms' 3. Sinfonie aus dem Berliner Titania-Palast im April 1954, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Mit seiner 2. Sinfonie in e-Moll ist Wilhelm Furtwängler auch als Komponist präsent.
Die große Mehrzahl der hier zusammengetragenen Aufnahmen hat Furtwängler mit “seinem” Orchester, den Berliner Philharmonikern, gemacht. Gleichwohl verband ihn, wie seinen Nachfolger Herbert von Karajan auch, eine produktive Zusammenarbeit mit den von ihm außerordentlich hoch geschätzten Wiener Philharmonikern, die in dieser Box ebenfalls ihren Niederschlag findet.
Visionär und Praktiker
All die Studio-, Rundfunk- und Live-Aufnahmen werden durch ein Tondokument besonderer Art ergänzt: es ist die Aufarbeitung eines Mitschnittes aus der Berliner Hochschule für Musik im Jahre 1951, auf denen Wilheln Furtwängler sich den Fragen der Studenten stellt. Weniger der Visionär, vielmehr der Praktiker Furtwängler spricht über das Wesen des Symphonischen ebenso wie über Stilfragen, das Tempo, die richtige Besetzung oder die Akustik in verschiedenen Sälen. Als ein visueller Höhepunkt schließlich liegt der Box eine Bonus-DVD mit dem Live-Mitschnitt von Mozarts “Don Giovanni” aus der Salzburger Felsenreitschule von Festspielen 1954 bei – mit einer Traumbesetzung, zu der neben Cesare Siepi als Don Giovanni auch Elisabeth Grümmer als Donna Anna, Liosa della Casa als Donna Elvira und Walter Berry als Masetto gehören. Verehrern und Bewunderern Wilhelm Furtwänglers ist mit dieser Ausgabe etwas schönes in die Hand gegeben.