Einer der ganz großen Musiker der Gegenwart, der als Dirigent und Pianist auf allen bedeutenden Bühnen dieser Welt zuhause ist, begeht in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag: Daniel Barenboim. Aus diesem Anlass hat die Deutsche Grammophon seine legendären Aufnahmen der “Lieder ohne Worte” von Felix Mendelssohn Bartholdy in einer 3-LP Vinyl Edition neu aufgelegt.
Charakterstücke der besonderen Art
Es ist eine ganz eigene Form der Klaviermusik gewesen, die Mendelssohn mit dem Escheinen des ersten Heftes der “Lieder ohne Worte” op. 19b im Jahre 1832 veröffentlichte und die er in seinen Briefen häufig als “Klavierlieder” bezeichnete. Klavierstücke im Stile von Liedern – der wesentliche Unterschied zum klavierbegleiteten Lied war nicht nur das Fehlen eines Textes. Sie waren ohne programmatischen Inhalt komponiert worden.
Dem Musikkritiker Marc André Souchay, der ihn nach der Bedeutung seiner “Lieder ohne Worte” gefragt hatte, schrieb Mendelssohn am 15. Oktober 1842: “Fragen Sie mich was ich mir dabei gedacht habe, so sage ich: gerade das Lied, wie es da steht … weil das Wort dem einen nicht heißt, was es dem anderen heißt, weil nur das Lied dem einen dasselbe sagen, dasselbe Gefühl in ihm erwecken kann wie im anderen.” Für Mendelssohn ging es nicht um die Imitation einer Liedkomposition. Vielmehr zielte er bei seinen “Liedern ohne Worte” auf einen lyrischen Ausdruck durch einen rein pianistischen Kompositionsstil ab.
Allerdings trug sich Mendelssohn schon nach dem dritten Heft mit dem Gedanken, diese Form weiter nicht zu bedienen, deren großer Erfolg zu viele Nachahmer auf einem für ihn zu niedrigeren Niveau gefunden hatte. “[…] ich habe auch nicht die Absicht mehr derart herauszugeben […] wenn‘s gar zu viel solches Gewürm zwischen Himmel und Erde gebe, so möchte es am Ende keinem Menschen lieb sein. Und es wird jetzt wirklich eine zu große Menge Klaviermusik ähnlicher Art componirt; man sollte wieder einmal einen anderen Ton anstimmen, meine ich!”, schrieb er am 4. März 1839 an den Verleger Nikolaus Simrock.
Zum Glück ist er diesem Gedanken nicht gefolgt – insgesamt komponierte Mendelssohn acht Hefte mit je sechs Liedern, von denen sechs Hefte zu seinen Lebzeiten und zwei weitere posthum veröffentlicht wurden.
Musikalische Neugier und größte Natürlichkeit
Sie alle, ergänzt durch andere Solostücke, darunter die “Kinderstücke” op. 72 und das “Albumblatt” op. 117 sind jetzt mit den Aufnahmen Daniel Barenboims wieder zu erleben. Dietrich Fischer-Dieskau, der Daniel Barenboim aus intensiver, jahrelanger Zusammenarbeit bestens kannte, bewunderte an dessen Spiel „die Erlebnisfähigkeit, die sich aus gesichertem Könnertum, stets wacher musikalischer Neugier und größter Natürlichkeit“ speise. Über die 1973 in Paris und London entstandenen Aufnahmen schrieb Fischer-Dieskau: “Wenn Barenboim Mendelssohns ‘Lieder ohne Worte’ interpretiert, treten seine Erfahrungen als zugleich führender und mitempfindender Klavierbegleiter überzeugend in solistische Erscheinung.” Besser als mit dem jetzt vorliegenden wiederveröffentlichten Dreifach-Vinyl lassen sich diese Worte nicht belegen.