Antonio Vivaldi muss eine faszinierende Persönlichkeit gewesen sein, Lebemann zum einen, wohl auch arrogant und eitel, auf den andern Seite ein bemerkenswerter Geigen-Virtuose und ein noch beeindruckenderer Komponist, dessen Produktivität ihm heute sogar manchmal zum Vorwurf gemacht wird. Schließlich kann ja, nach üblichem Ermessen, kaum jemand derart viele Meisterwerke hervorbringen. Doch wie schon Johann Sebastian Bach alle Kritiker durch seine künstlerische Substanz in die Schranken wies, so ist auch Vivaldis Schaffen ein schier unermesslicher Fundus an Intensität und klanglicher Vielfalt, dem sich selbst ein Weltklasse-Geiger wie Daniel Hope erst nach jahrelanger Vorbereitung zuwendet – mit mitreißendem Resultat, wie “Vivaldi” dokumentiert.
Zunächst muss da mit einem Vorurteil aufgeräumt werden: “Die Vorstellung, Vivaldis Musik sei leicht zu spielen oder zusammen zu stellen, ist ein großer Irrtum. Das stimmt einfach nicht. Seine Musik ist technisch extrem schwierig, er soll ein hervorragender Geiger gewesen sein, der die Zuhörer in Erstaunen versetzte”, meint Daniel Hope im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung mit dem barocken Komponisten und ergänzt: “In manchen seiner Konzerte ist es schon sehr schwierig, auch nur die richtigen Töne zu spielen! Ein Irrtum ist auch, dass Vivaldis Musik manchmal oberflächlich ist. Vielleicht ist seine enorme Produktivität schuld an diesem Urteil, aber ich bin da ganz anderer Meinung. Für mich hat Vivaldi große Tiefe. Ich habe jahrelang seine Musik gespielt, über sie nachgedacht und mit ihr gelebt, bevor ich den wichtigen Schritt manchen konnte, sie auch aufzunehmen”.
Und das will etwas heißen, schließlich ist der in Südafrika geborene und mit seiner Familie kurz nach der Geburt 1975 nach England emigrierte Virtuose bereits ein erfahrener Spezialist in Fragen des Ausdrucks und der gestalterischen Opulenz. Das wiederum liegt auch an seiner ungewöhnlichen künstlerischen Entwicklung, Geige spielt Daniel Hope, weil seine Mutter Eleanor eine Stelle bei Yehudi Menuhin bekam, zunächst als dessen Sekretärin, dann als Managerin des Weltstars. Es hätte auch ein anderes Instrument sein können, aber weil der Knabe auf diese Weise zum Hause des berühmten Violinisten und Pädagogen gehörte, ließ er sich beeindrucken, traf seine Wahl und wurde in den folgenden Jahren zu einem der begabtesten Geiger unserer Tage.
Nun also Vivaldi. Dem barocken Genie widmet sich Daniel Hope mit ähnlicher reflektierter Impulsivität wie zuletzt Mendelssohn. Sein Ziel ist nicht die Oberfläche der spieltechnischen Perfektion, sondern der Blick ins Innere der Musik, um sie schließlich zu seiner eigenen zu machen. “Vivaldis Musik hat absolut alles, was man sich nur wünschen kann. Melodik, Dramatik, Leidenschaft und Ausdruck explodieren darin. Sie nimmt einen ganz gefangen und lässt einen nicht wieder los. Man fühlt sich wie in einer Achterbahn, und dann gibt es wieder Momente von großer Intensität, Schönheit, Zartheit … Nur wenige Komponisten konnten Musik so bildhaft machen, wie Vivaldi es tat und wie es in den Stücken dieses Albums zu hören ist. Vivaldis Ausdruck besitzt etwas Opernhaftes, zugleich hat seine Musik aber auch kammermusikalische Qualitäten und Intimität”.
Um diese Vielfalt des hunderte Werke umfassenden Oeuvres wenigstens andeuten zu können, entschied sich Daniel Hope daher für ein gemischtes Programm, das unterschiedliche Facetten von Vivaldis Finesse abdecken kann. Neben vier außergewöhnlichen Konzerten wie “La tempesta di mare” (“Ich halte ‘La tempesta di mare’ für eines seiner größten Werke, das den ‘Vier Jahreszeiten’ um nichts nachsteht”), hat er auch die “Violinsonate d-moll op.1, Nr.12” und eine Opernarie aus “Andromeda Liberata” mit der Mezzo-Sopranistin Anne Sofie von Otter als Solisten aufgenommen. Dazu kommen die ausgezeichneten Barock-Spezialisten des Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von Lorenza Borrani und Generalbass-Koryphäen wie der Cembalist Kristian Bezuidenhout oder auch Erin Headley, der die Klanggestalt der Aufnahmen stellenweise um die selten gespielte Lirone ergänzt. Mit diesem Team gelingt Daniel Hope ein Vivaldi, an dem sich in Zukunft die besten Einspielungen des Fachs messen lassen müssen.