Chopin hat es ihm angetan. Die gefühlvolle Klangpoesie des großen Romantikers ist ihm schon früh ans Herz gewachsen. Sie bildet sein künstlerisches Zentrum, seine musikalische Mitte, aus der er lebt.
Seelenverwandte: Frédéric Chopin und Daniil Trifonov
Chopin kann ohne jede Übertreibung als ein Seelenverwandter Daniil Trifonovs gelten. Die verträumten Melodien des polnischen Komponisten sind dem russischen Pianisten urvertraut. Er versteht, worum es in den mächtigen Gefühlsaufwallungen Frédéric Chopins geht. Alben wie “Daniil Trifonov – Live (Carnegie Hall) & Chopin” und “Frédéric Chopin: Klavierwerke” sind ein eindrucksvolles Zeugnis hierfür. Sie beweisen, dass Trifonov ein besonderes Organ für Chopin besitzt.
Doch Trifonovs Reise in die verschlungenen Klangwelten des hochempfindsamen Komponisten ist damit noch nicht beendet. Es gilt, unentdecktes Land zu erkunden. Der Chopin-Kontinent ist größer, als wir bislang dachten, und er birgt vegetative Schönheiten, die noch unbekannt sind: seltene Gewächse, die gewürdigt werden wollen, lyrische Pracht, die immer wieder mit neuen Farbmischungen überrascht. Außerdem gibt es Abenteuerreisende, die sich der reichhaltigen Flora des polnischen Komponisten bedient und damit eigene Gärten angelegt haben.
Unentdecktes Terrain: Reiche poetische Flora
In Meisterwerken von Robert Schumann, Edvard Grieg, Samuel Barber, Peter Tschaikowsky und Frederic Mompou lebt Chopins Erbe fort. Sie haben sich den eigenwilligen Stil des originellen Romantikers anverwandelt und damit eine eigene Klangsprache geschaffen. Trifonov folgt der Spur, die Chopin in der Musikgeschichte hinterlassen hat. Um die Strahlkraft des polnischen Komponisten zu demonstrieren, spielt er sowohl Werke von Chopin als auch Tonschöpfungen, die als Verneigung vor dem romantischen Riesen verstanden werden können.
Mit hinreißender Zartheit interpretiert er die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin, die auf seinem neuen Album erstmals in Mikhail Pletnevs neuer Orchestrierung erklingen. Trifonov spinnt gemeinsam mit dem Mahler Chamber Orchestra ein feines Netz von Beziehungen. Pletnevs Verschlankung der Partitur räumt ihm alle Freiheiten am Klavier ein. Er braucht nicht gegen das Orchester anzuspielen, sondern kann es mitnehmen und sich selbst mitnehmen lassen.
Tribute an Chopin: Barber, Schumann, Grieg, Tschaikowsky und Mompou
Melancholischen Zauber verleiht Daniil Trifonov Chopins berühmtem “Fantaisie-Impromptu in cis-Moll”, das er sanft fließen lässt. Aus den Widmungen an Chopin stechen Mompous impressionistisch anmutende “Variationen über ein Thema von Chopin” (1957) hervor. Der katalanische Komponist lässt sich von dem Prélude in A-Dur aus Chopins op. 28 inspirieren. Daraus schöpft er eine bis in jazzige Kaffeehausmusik hineinreichende Formenvielfalt, die den Chopin-Akzenten von Giganten wie Schumann, Grieg oder Tschaikowsky in nichts nachsteht.
“Chopin Evocations” ist ein außerordentliches Album. Das gilt für die originelle Zusammenstellung des Repertoires nicht weniger als für die hohe Interpretationskunst Daniil Trifonovs und seiner Gefährten: dem großen Pianisten, Dirigenten und Komponisten Mikhail Pletnev, dem Mahler Chamber Orchestra und Trifonovs Lehrer Sergei Babayan, mit dem der junge Meisterpianist gemeinsam Chopins schwieriges Rondo für zwei Klaviere in wilder tänzerischer Manier erblühen lässt.