Die besondere geographische Lage Griechenlands am Übergang vom Okzident zum Orient hat über die Jahrtausende hinweg die Lebensumstände seiner Menschen nachhaltig beeinflusst. In der Antike selbst eine Großmacht, war es später gezwungen, immer wieder zwischen konkurrierenden Kulturkreisen zu vermitteln, die über den Balkan ihren Einfluss auf Europa sichern wollten. Griechenlands Geschichte ist eine Geschichte der Konflikte, nach außen wie nach innen, eine Geschichte von Tradition, Identität und der besonderen Kraft seiner Menschen, trotz aller Widrigkeiten zu bestehen. Insofern wundert es wenig, wenn die wichtigste zeitgenössische Komponistin des Landes Eleni Karaindrou ihr Konzertprogramm, das sie 2005 in Athen aufführte und das nun auf einer Doppel-CD veröffentlicht wird, mit dem Titel “Elegy Of The Uprooting” (“Elegie der Entwurzelung”) überschrieb.
Den Rahmen bilden zwei Kompositionen, die unabhängig voneinander entstanden, aber trotzdem eine enge inhaltliche Verbindung haben: Zum einen ein Soundtrack, der für Theo Angelopoulos Film “The Weeping Meadow” entstand, zum anderen eine Musik für K.X. Myris Leinwand-Adaption eines klassischen Stoffes von Euripides mit den Titel “Trojan Women”. Beide Werke wurden zeitnah zueinander konzipiert, ein Zufall der Auftragslage, aber einer, der die Komponistin sehr beschäftigte: "Als ich gerade an ‘Trojan Women’ arbeitete, fragte mit Theo (Angelopoulos), ob ich ihm bei “'The Weeping Meadow' helfen wolle, und ich war schockiert, weil es sich im Kern um die gleiche Geschichte von Ausbürgerung und Entgrenzung handelte, nur eben 2500 Jahre später”. Die indirekte Verbindung war vorhanden und so war es für Eleni Karaindrou eine logische Entwicklung, diese beiden Kompositionen zu verknüpfen und zusammen mit mehreren weiteren auf die Ebene eines eigenständigen Kunstwerkes zu heben. Ihr Plan war es, eine “neue Einheit zu schaffen, worin jede Komposition ihren eigenen Platz hat, so als wäre sie dort schon immer gewesen als Teil eines größeren Ganzen, der ‘Elegie der Entwurzelung’”. Unterstützung kam von vielen Seiten, von Musikern wie dem Oboisten Vangelis Christopoulos, mit dem sie bereits seit den Achtzigern zusammenarbeitet, oder auch von der berühmten Sängerin Maria Farantouri, die Karaindrou noch aus Studententagen im Athen der Sechziger und sogar von einer Folkband kennt, in der sie einst kurzzeitig gemeinsam gspielt hatten.
Es wurde ein großes Ereignis. Drei Abende lang wurde die Athener Konzerthalle Megaron im März 2005 für “Elegy Of The Uprooting” in Beschlag genommen, rund 110 Musiker waren einschließlich Chor und Orchester mit der Umsetzung des Werkes beschäftigt, etwa 6.000 Zuhörer kamen und waren beeindruckt von der Kraft und der Tiefe einer Musik, die sie im Inneren betraf. Die motivischen Ursprünge stammten aus insgesamt sieben Soundtracks, die Karaindrou für Angelopoulos geschaffen hatte, außerdem aus “Happy Homecoming, Comrade” (von Lefteris Xanthopoulos), “Rosa” (von Christoforos Christofis ) und den Musiken von “The Price of Love” (von Tonia Marketaki) der Bearbeitung von Anton Tschechows “Die Möwe” durch Jules Dassin. Hinter dem Projekt stand die Idee einer modernen Odysee, die die verschiedenen Klangelemente kunstvoll verbinden sollte: “Ich entwarf eine neue musikalische Reise, zu der frühere und heutige Wanderer stoßen. Die markante Oboe von Vangelis Christopoulos verbindet sich nun mit der Konstantinopelschen Lyra in ‘Ulysses Grace’, und ‘Trojan Women’ erinnert an den Schmerz des Exils durch Marias [Farantouri] Stimme und die Stimme des Frauenchores in der ‘Ode Of Tears’”. So sind rund 100 Minuten Musik entstanden, die sich auf bewegende Weise aus der Perspektive der Gegenwart mit dem umfangreichen traditionellen Erbe Griechenlands befassen und es mit Pathos, aber ohne Übertreibung in Klänge fassen.