Wir leben in einer schnelllebigen und oberflächlichen Zeit. Man trifft nur selten Menschen, die so innig nach geistiger, künstlerischer und spiritueller Vervollkommnung streben, jeden überflüssigen Luxus und jedes Aufhebens um die eigene Person so entschieden ablehnen wie Herbert Blomstedt, und vielleicht gerade unter den Dirigenten immer seltener. Blomstedt sieht sich als Missionar. Doch er will nicht bekehren. Der schwedische Dirigent will „Ohren öffnen“, wie er einmal in einem Interview erklärt. „Durch das Erleben der Ordnung und Schönheit großer Musik kommt der Zuhörer in Kontakt mit etwas, das größer ist als er selbst“, glaubt er.
Im Dienst der Musik
Glaube ist der Schlüssel zu Blomstedts Leben und Wirken. Demut gegenüber der Schöpfung bestimmt seit jeher sein künstlerisches Handeln. In seinen Interpretationen strebt er nach größtmöglicher Notentreue. Die Musik soll für sich selbst sprechen. „Der Dirigent ist nur ein Vermittler“, sagt Blomstedt. „Er ist ein Diener.“ Jeden Effekt, der einzelne Musiker oder ihn als Dirigent ins Zentrum stellt, vermeidet Herbert Blomstedt. „Erst in der Symbiose“, so meint er, „kann man etwas sehr Schönes gestalten.“ Die Musiker aller Orchester, mit denen er gearbeitet hat, rühmen ihn für seine Warmherzigkeit und seine einzigartigen Qualitäten als Kommunikator.
Lernen als Lebensaufgabe
Herbert Blomstedt wurde 1927 als Sohn eines Predigers und einer Pianistin in Massachusetts geboren und wuchs in Finnland und Schweden auf. Er studierte Musik mit Geige im Hauptfach, daneben Musikwissenschaft, Psychologie und Religionswissenschaft. Als er im Studium die Leitung eines Chors übernahm, entdeckte er seine Faszination fürs Dirigieren. Er lernte bei Igor Markevitch und Leonard Bernstein. Die technische Meisterschaft des Russen hat Herbert Blomstedt in gleichem Maße beeinflusst wie das spontane und frische Musizieren des Amerikaners. Er setzt seine Ausbildung mit Studien in Alter Musik an der Schola Cantorum Basiliensis und Besuchen bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik fort. Seine Arbeit begreift er als fortwährenden Lernprozess. “Wenn man aufhört zu suchen, ist es zu Ende mit dem Künstlertum”, sagt er.
60 Jahre auf dem Konzertpodium
Vor 60 Jahren, im Februar 1954, gab Herbert Blomstedt sein Debüt als Dirigent. Er hat in seiner langen Laufbahn alle großen Orchester geleitet und wirkt bis heute unermüdlich als gefragter Gast- und mehrfacher Ehrendirigent. Zentrale Stationen seines künstlerischen Wirkens waren die Radio-Symphonieorchester von Dänemark und Schweden, die Staatskapelle Dresden (1975–1985), die San Francisco Symphony (1985–1995) und das Gewandhausorchester Leipzig (1998–2005). Zeitlebens hat sich Herbert Blomstedt gern ein wenig abseits vom Mainstream gehalten. Leidenschaftlich engagierte er sich für weniger bekannte Werke und weniger beliebte Komponisten. In seiner Heimat Schweden kämpfte er in den Nachkriegsjahren für Bruckner. Er setzte sich für nordische Komponisten ein, allen voran Sibelius und Nielsen, wurde zum wichtigsten Anwalt des letzteren.
Erfolgsjahre in San Francisco
Besonders fruchtbar und erfolgreich war seine Arbeit mit der San Francisco Symphony. In zehnjähriger Zusammenarbeit formte Blomstedt den jungen Klangkörper zu einem Orchester von Weltgeltung, das regelmäßig durch Europa, Asien und die Vereinigten Staaten tourte. Ihre gemeinsamen Aufnahmen für das Londoner Label Decca wurden mit den wichtigsten internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter Frankreichs Grand Prix du Disque und Belgiens Caecilia-Preis für Nielsens Symphonien Nr. 4 & 5, der britische Gramophone Award für Nielsens Symphonien Nr. 2 & 3, Japans Record Academy Award für Griegs Peer Gynt, drei Grammy Awards für Orfs “Carmina burana”, Brahms' “Ein Deutsches Requiem” und Bartóks Konzert für Orchester. 1995 erhielten Blomstedt und die San Francisco Symphonie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik für Mahlers 2. Symphonie.
Erstmals wird diese legendäre künstlerische Partnerschaft nun in der limitierten Edition “Herbert Blomstedt – The San Francisco Years” (15 CDs) umfassend dokumentiert.