Es gab Stimmen, die Karlheinz Stockhausen als den wahren Nachfolger Richard Wagners verstanden, nicht unbedingt in dem, was der komponierte, sondern wie er die Dinge sah. Denn auch für ihn war Musik eine Art Arbeit am Heilsplan des Weltganzen, ein letztlich religiöser Akt, der sich auf das Verständnis der Schöpfung richtete, ein Gesamtkunstwerk, wie er es mit seinem kosmisch-eschatologischen Hauptwerk “Licht” (1977–2003) entwarf. Sieben Tage mit Michael, Eva und Lucifer in ein allumfassendes Musik-Operntheater gefasst, minutiös geplant auf der einen Seite bei größtmöglicher Freiheit der Interpretation auf der anderen, das entspricht letztlich der konsequenten Fortführung des Künstlergedankens, wie ihn die Romantik einst entwarf.
Sein Weg in die musikalische Kosmologie führte über die Abstraktionen der Avantgarde. Geboren am 22. August 1928 in Mödrath als Sohn eines Volksschullehrers, studierte Stockhausen Schulmusik und Klavier, Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik, nahm 1951 an den Darmstädter Ferienkursen teil und ging 1952 nach Paris zu Olivier Messiaen, wo er rund ein Jahr lang sein Klangverständnis weiter schärfte. Bald darauf wurde er Mitarbeiter im Studio für elektronische Musik in Köln, studierte Kommunikationswissenschaft, Phonetik und begann, die Vielzahl dieser Eindrücke in eigene Kompositionen zu packen.
Den ersten seriellen Versuchen (“Kreuzspiel”, 1951) folgten Experimente mit der räumlichen Wirkung von Klängen und mit Sinusgeneratoren (“Studien I/II”, 1953/54). Das Studio für elektronische Musik wurde zu einem Labor des Diskurses, Stockhausens “Gesang der Jünglinge” (1956) zum Ausgangspunkt zahlreicher Diskussionen um die Künstlichkeit der Kunst. Der Komponist galt als Pionier des Genres, unterrichtete nun selbst bei den Darmstädter Ferienkursen, leitete von 1963 an das Studio für elektronische Musik, außerdem zwischen 1963 und 1969 die Kölner Kurse für Neue Musik und wirkte von 1971 an mehrere Jahre lang als Professor an der Hochschule für Musik in Köln, außerdem in Basel, Kalifornien und Philadelphia.
Ende der Sechziger wiederum veränderte sich seine Kunstauffassung. Zum einen waren die Möglichkeiten der elektronischen Musik inzwischen ansatzweise erforscht und an die Popgeneration weitergegeben. Politisches war Stockhausen suspekt, weil es zu sehr festlegte, überhaupt begann er, sich mehr und mehr den kosmischen Dimensionen seines Schaffens zuzuwenden, was er mit den Weltausstellungskonzerten 1970 im Kugelauditorium von Osaka eindrucksvoll demonstrierte. Er schuf klangtheatralische Aktionen wie “ALPHABET für Liege” (1972), vor allem aber eben den siebenteiligen Opern-Zyklus “Licht” als Ausdruck seines umfassenden Verständnisses.
Während sich bereits die nächsten Generation von Komponisten an seinem Erbe abarbeitete, erklärten die Pop-Hedonisten der Techno-Ära Stockhausen für einen ihrer Urväter und er selbst blieb ein streitbarer Geist, der etwa mit seinen aus der Ästhetik sich ableitenden Äußerungen zum 11.September für Wirbel im Feuilleton sorgte. Am 5. Dezember starb Karlheinz Stockhausen im Alter von 79 Jahren in Kürten-Kettenberg bei Köln. Einer der Visionäre der Musik hat seinen Abschied genommen.