Der Frühling lässt dieses Jahr auf sich warten. Doch wer genauer hinsieht, der erkennt schon die ersten Zeichen des Übergangs. Die Sonne dringt häufiger durch und führt uns angenehme Wärme zu. Die milden Temperaturen, die sich zwischen die späte Eiseskälte schieben, deuten auf entspanntere Zeiten voraus, in denen man seinen Cappuccino wieder draußen genießen kann.
Ostern steht für diesen Wandel. Für religiöse Menschen ist es die Feier des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, eine Zeit also, die tiefste Trauer mit größter Freude verbindet. Diese Gefühlsdichte hat Komponisten seit jeher inspiriert. Deshalb verdanken wir dem Osterfest einen ganzen Kosmos hochemotionaler Musik, die ebenso sehr zum Nachdenken einlädt, wie sie uns zu neuen Ufern aufbrechen lässt.
Österlicher Wandel: Schmerz und Aufbruch
Kaum jemand hat die österliche Kontrastwirkung zwischen Trauer und Aufbruch berührender zum Ausdruck gebracht wie
Johann Sebastian Bach. Seine geistlichen Werke gehen direkt zu Herzen, schenken Trost und reinigen das Innere von überflüssigem Ballast. Wer die erhabenen Ostermusiken des Altmeisters liebt oder jetzt kennenlernen möchte, der sei auf die großartigen Aufnahmen von
Karl Richter,
Eugen Jochum und
Paul McCreesh verwiesen. Sie liegen in glänzenden Editionen vor, die nicht nur Bachs hochkomplexe Musik unübertrefflich schön zu Gehör bringen, sondern auch Lust bereiten, die ausführenden Künstler kennenzulernen.
Sich selber spüren: Romantisches Flirren
In der Romantik rückt die Seele des Einzelnen, sein intimes Erleben ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Selbst religiöse Werke, wie das “Stabat Mater” von Antonín Dvořák, zeugen vom persönlichen Empfinden des jeweiligen Komponisten. Wie berührend der Schöpfer der berühmten Sinfonie Nr. 9 (“Aus der Neuen Welt”) seinen stechenden Schmerz über den Tod mehrerer seiner Kinder musikalisch verarbeitet hat, kommt in überwältigender Weise in Jiří Bělohláveks Interpretation des “Stabat Mater” mit der Tschechischen Philharmonie zum Ausdruck. Für tiefsinnige Osterstunden ein unverzichtbares Album!
Ganz andere Gefühle des Wandels bereitet die spannungsgeladene Klangkunst
Richard Wagners. Wer sich die Ostertage mit einem erwartungsvollen Flirren im Bauch versüßen möchte, der sei auf
Georg Soltis sehnsuchtsträchtige Interpretation des “
Parsifal” verwiesen. Nicht minder theatral, wenn auch mit einem Augenzwinkern, geht es in
Bernsteins “
Mass” zu. Der kanadische Dirigent
Yannick Nézet-Séguin hat das glamouröse Werk, das einen faszinierenden Mix aus Jazz, Blues, Rock, Broadway und Zwölftonmusik bietet, mit dem
Philadelphia Orchestra live aufgenommen. Die mitreißende Ersteinspielung ist gerade ganz neu erschienen.
Glücksrausch: Die Kunst der Arie
Wer an virtuoser Gesangskunst Gefallen findet, dem seien zwei brandaktuelle Veröffentlichungen ans Herz gelegt, in denen die Interpretation hinreißender Barockarien zur Vollendung getrieben wird.
Franco Fagiolis Album mit seinen persönlichen Lieblingsarien von
Händel verströmt eine bewundernswerte Eleganz und tänzerische Verve.
Der argentinische Countertenor schwebt beinahe, wenn er Händel singt, und er kann diesen Flow, diese höchst selten anzutreffende Stimmung natürlicher Trance auch mit geistlichen Arien erzeugen. Das beweist er jetzt eindrucksvoll an der Seite der russischen Starsopranistin
Julia Lezhneva.
Die beiden wirken auf einem gerade erschienenen Album mit Vivaldis furiosem “Gloria” mit. Wer Ostern einen Glücksrausch erleben möchte, der höre sich hier nur das “Laudamus te” an: ein hinreißendes Duett, in dem sich die virtuose Leichtigkeit Fagiolis mit der engelhaften Aura Julia Lezhneva kongenial verbindet. Himmlisch!