Dass die Natur bedroht ist, weiß heute jeder. Doch was genau ist die Natur? Und wie lässt sie sich fassen? Meredith Monk ist davon überzeugt, dass die Musik hier ein Wort mitzureden hat. Die menschliche Stimme und die Klänge der Instrumente eignen sich zum Medium der Natur. Die Natur selbst produziert Klänge, und der Mensch kann ihnen nachspüren. Mehr noch: Er kann der Natur seine Stimme geben, wodurch sie fassbarer, konkreter, erfahrbarer wird.
Meredith Monk begreift dies als eine Aufgabe der Kunst. Die amerikanische Sängerin, Performancekünstlerin und Komponistin glaubt, dass wir der Natur durch Musik wieder näher kommen können. Der Spalt, der sich in unserer hochtechnisierten Welt zwischen Mensch und Natur aufgetan hat, kann durch Musik geschlossen werden. „Ich habe über Ökologie und Klimawandel nachgedacht und mich gefragt, wie Kunst diese Themen angehen kann“, so Meredith Monk im Booklet-Essay zu ihrem neuen Album.
Licht und Dunkelheit: Allmähliche Verschmelzungen
Dabei kam ihr sogleich der Gedanke an die heilende, verbindende Wirkung von Musik. “On Behalf of Nature”, so Meredith Monk über ihr neues Album, “ist eine Meditation über unser intimes Verhältnis zur Natur, über die innere Struktur der Natur, die Fragilität ihrer Ökologie und unsere wechselseitige Abhängigkeit.” Ein großes Vorhaben! Gelingt ihr dies? Eignet sich Musik wirklich, im Namen der Natur zu sprechen, wie der anspruchsvolle Titel von Monks neuem Album verheißt?
Mehr als das. Meredith Monk breitet ein Netz von Klängen aus, das nicht nur Erscheinungen der Natur musikalisch erlebbar macht, sondern auch menschliche Reaktionen darauf. Das Auftaktstück des Albums Dark/Light 1 ist ein beredtes Zeugnis hierfür. Monk fängt die Phänomene von Licht und Dunkelheit zunächst durch den naheliegenden musikalischen Gegensatz heller und tiefer Töne ein. Wenn die von Bohdan Hilash sanft gespielte, burmesische Piccoloflöte ihre archaische Melodie gibt, kommen beim Hören sofort Assoziationen von Helligkeit auf.
Im Namen der Natur: Meredith Monk als Medium
Mit dem Einsatz der Bassklarinette und des nonverbalen Gesangs von Meredith Monk wird die Helligkeit dann mit der Dunkelheit konfrontiert, bevor der mehrstimmige Lautgesang von Monks Vokalensembles Helligkeit und Dunkelheit allmählich verschmelzen lässt. Man denkt spontan an eine Dämmerung oder an das langsame Aufgehen der Sonne in den Morgenstunden. Dabei fühlt man auch die Furcht vor der Nacht und das erleichternde Moment bei helleren Episoden des Stücks.
Meredith Monk gelingt es mit ihrem Gesang, sich durchlässig zu machen und die Natur ebenso sprechen zu lassen wie sich selbst. Das hat eine ergreifende Seite, gibt sie sich so doch als Person zu erkennen, als musikalisches Medium, verletzlich, aber auch stark. Andere Stücke, wie zum Beispiel das teilweise jazzig und rhythmisch voranpreschende Water/Sky Rant, richten den Blick direkt auf die Elemente der Natur. Wasser gewinnt in Monks Gesang eine überaus lebhafte Gestalt, bis hinein in ekstatische, orgiastische Laute.
Was die amerikanische Künstlerin hier in Erinnerung ruft, ist die energiespendende Kraft des Wassers. Wasser setzt die Dinge in Bewegung, und dass es fließt, ist auch für den menschlichen Eros eine unabdingbare Voraussetzung. Meredith Monk hat keine Angst, sich der natürlichen Kraft ihrer Stimme hinzugeben. Dabei verleiht sie auch Lauten Ausdruck, die nach alltäglichem Ermessen vielleicht peinlich anmuten. Aber genau das ist ihre Größe, und so gelingt es ihr, im Namen der Natur zu singen.