In manchem war Johann Sebastian Bach ein einfach strukturierter Mensch. In der Vorstellung von Familie zum Beispiel blieb er bei aller musikalischer Schaffenskraft ein konservativer Mann. Gefördert wurde der Erstgeborene, die übrigen Söhne mussten sehen, wie sie sich durchschlugen. Der Welt blieb eh hauptsächlich der alte Herr in Erinnerung. Zu Unrecht, meint Reinhard Goebel, und widmet sich mit der Musica Antiqua Köln den Sprösslingen des Meisters.
Wilhelm Friedemann hatte es gut. Im Jahr 1710 als erster Sohn von Johann Sebastian und dessen erster Frau Maria Barbara geboren, genoss er die ganze Sympathie des Vaters, der ihm schon mal ein “Clavierbüchlein” komponierte und ihn an gute Lehrer wie Johann Gottlieb Graun und attraktive Stellen wie an die Sophienkirche in Dresden vermittelte. Carl Philipp Emanuel hingegen musste sich schon ein wenig mehr anstrengen, um in der Wahrnehmung des Patriarchen etwas zu gelten. Vier Jahre jünger als Wilhelm Friedemann und noch dazu Linkshänder, blieb ihm nur das Cembalo als Instrument, das ihm von seinem Vater unterrichtet wurde. Er versuchte 1731 den Absprung und begann ein Jura-Studium in Leipzig.
Er schloss es zwar ab, arbeitete aber dann doch als Cembalo-Solist und Lehrer. Er wirkte als Hofkomponist von Friedrich II, fand sich aber auf Dauer am Hofe nicht ausgelastet. Der Versuch, die Nachfolge des Vaters in Leipzig anzutreten, scheiterte und so landete Carl Philipp Emanuel schließlich in Hamburg, wo er es in aufgeklärten Kreisen zum angesehenen Bürger brachte. Johann Christoph Friedrich (1732–95) und Johann Christian (1735–82) wiederum stammten aus zweiter Ehe und hatte mit ihren wesentlich älteren Brüdern kaum noch etwas zu tun. Der erste bewährte sich als Konzert- und Kapellmeister in London, der andere konvertierte, zum Schrecken der Familie, zum Katholizismus und konzentrierte sich auf seine Arbeit als Opernkomponist, was allerdings nicht verhindern konnte, dass er 1782 in London in bitterer Armut starb.
So unterschiedlich die Brüder waren - gemeinsam blieb ihnen der Schatten des Vaters, der ihre eigenen künstlerischen Qualitäten überdeckt. Aus diesem Grund haben sich der Violinist Reinhard Goebel und die von ihm geleitete Musica Antiqua Köln mit einem eigenen Projekt den Bach-Nachkömmlingen gewidmet. Das Spektrum der Kompositionen ist weit und umfasst vergleichsweise konventionelle Werke wie die “Sinfonia Concertante A-Dur” von Johann Christian ebenso wie die das ungewöhnlich direkte “Flöten-Konzert D-Dur” von Wilhelm Friedemann und die musikalische Gegenüberstellung von Cembalo und Hammerklavier aus dem Jahr 1787, die Carl Philipp Emanuel ersann, ein letztes Aufbäumen des gezupften Instruments, das bereits von den Pianofortes übertrumpft wurde. Der Musica Antiqua Köln gelingt dabei das Kunststück, sowohl die Unterschiede in der stilistischen Gestaltung wie auch die Gemeinsamkeiten der komponierenden Familie zu vereinen, so dass am Ende die Frage sich stellt, warum die Bach-Söhne nicht mehr in den Spielplänen der internationalen Ensembles erscheinen. Aber so ist das eben mit den großen Vätern, die als Monumente in die Geschichte eingegangen sind. Ihr Ruhm bestimmt den Rest und hemmt zuweilen mehr, als er den Kindern hilft.