Man kennt sie gelackt und blankpoliert, als akustisches Einrichtungsstück des bildungsbürgerlichen Haushalts. Doch die “Brandenburgischen Konzerte” sind mehr als barocke Kabinettstückchen bei Rotwein und Konfekt. Besonders wenn der Violinist Reinhard Goebel mit der Musica Antiqua Köln sich ihrer annimmt.
“Immer wieder sollten wir und klarmachen, dass die heute so häufige apostrophierten ‘Regeln der Zeit’ erst nach 1750 fixiert wurden und keinerlei a-priori-Gültigkeit für die Zeit um 1720 besitzen können. Die Widmungs-Partitur spricht eine so klare Sprache: herb, rau, erstaunlich und manchmal unerhört, grandios und schockierend”, kommentierte Reinhard Goebel die durchaus die Gemüter erhitzende Diskussion um die Interpretation der “Brandenburgischen Konzerte”, die er gemeinsam mit der Musica Antiqua Köln lostrat. Denn als er und seine rund zwei Dutzend Mitmusiker sich im Juni 1986 im Sendesaal des Deutschlandfunks einfanden, um die Gassenhauer der Schallplattengeschichte unter ungewohnten Gesichtspunkten zu interpretieren, waren die Errungenschaften des sogenannten historischen Aufführungspraxis durchaus noch nicht Konsens bei Publikum und Kritik. Sicher gewöhnte man sich langsam daran, dass Konzerte auf Originalinstrumenten nach Original-Autographen das durch Romantik und vor allem bürgerliche Unterhaltungsbedürfnisse über ein Jahrhundert hinweg egalisierte Klangempfinden irritierten und korrigierten. Trotzdem machte das damals noch vergleichsweise junge Medium der CD eine Hör- und Abbildungsintensität möglich, die sich deutlich von früheren Soundvorstellungen unterschied.
Goebel und das 1973 von ihm gegründete Ensemble Musica Antiqua Köln, bei dem unter anderem der junge Andreas Staier am Cembalo saß, nützen die Chance des Neuanfanges des noch unverbrauchten und brillanten Tonträgers zur Umdeutung der Gleichförmigkeit höfisch idealisierten Interpretationen der “Brandenburgischen Konzerte” in das, was sie im Kern sind: Sechs eigenständige, in Instrumentierung und Charakter sehr unterschiedliche Werke, die für Bach unüblich, aber den Bedürfnissen seines Gönners, des Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg entgegenkommend, zu einem Zyklus zusammengefasst wurden. Die Musica Antiqua stützte sich dafür auf die Autographen der Widmungspartitur, die von Bach mit eindeutigen Anweisungen versehen worden waren. So ergaben sich deutlichen Unterschiede zu den späteren Druckfassungen, etwa bei der Artikulation der Solo-Tutti-Streicherstimmen oder der dynamischen Binnengliederung der Konzerte. In mühsamer Kleinarbeit vorbereitet, konnten auf diese Weise Aufnahmen entstehen, deren Sprache unmittelbar und deutlich ästhetisierende Vorläufer wiederlegt. “Höchste Bewertung für Interpretation, Klangqualität und Repertoirewert”, urteilte das Fachmagazin Stereoplay im März 1987 über die kurz zuvor erschienenen Aufnahmen. Und hatte Recht damit.
Die Referenz:
“Höchste Bewertung für Interpretation, Klangqualität und Repertoirewert.” (Steeoplay 3/1987)