Zweifel und Neugier hängen eng zusammen. Sie sind die Basis produktiven Künstlertums, denn ohne die Infragestellung des Gehabten entsteht kein Wunsch nach Neuem und ohne die Lust an der Entdeckung kein Bedürfnis, das Unbekannte auch auszuprobieren. Pierre Boulez hat sich beide Eigenschaften bis heute erhalten. Wenn er am Freitag, den 26.März, seinen 85.Geburtstag feiert, dann kann die Musikwelt sicher sein, dass noch immer der Forschergeist aus seinen Augen blitzt, der den Jungen aus der französischen Provinz zu einem der zentralen Impulsgeber der vergangenen klassischen Musikjahrzehnte hat werden lassen.
Mit 18 Jahren nabelte sich Pierre Boulez von Zuhause ab und verließ das beschauliche Montbrison im Département Loire gen Paris. Der Vater, der den mathematisch begabten Jungen schon auf dem Weg zum Ingenieur gesehen hatte, war alles andere als begeistert, aber der Sprössling ließ sich nicht von den Plänen abbringen, sein Glück mit der Musik zu versuchen. Im Oktober 1944 schrieb er sich am Konservatorium in der Klasse für Harmonielehre von Olivier Messiaen ein. Aus dem Hobby – seit dem siebten Lebensjahr hatte er Klavierunterricht bekommen und war außerdem im Schulchor aktiv gewesen – wurde eine Leidenschaft. Durch Messiaen lernte er die Klangwelt von Strawinsky, Bartók und der alten und neuen Wiener Schule kennen. Durch ihn verstand er auch, wie wichtig es ist, nicht über Musik, sondern in Musik zu denken.
Als erste Talentprobe sendete der französische Rundfunk seine „Trois Psalmodies“ (1945) für Klavier, die noch zaghafte Schülerarbeiten im Stil des Lehrers mit einem Hang zu Schönbergscher Abstraktion waren. Doch bald schon bewährte sich Pierre Boulez als eigenständiger Komponist. 1954 gründete er seine erste Konzertreihe für Neue Musik „Concerts du Petit Marigny / Domaine Musicale“, im Jahr darauf gelang ihm mit „Le Marteau Sans Maître“ der internationale Durchbruch als Komponist, der beinahe gleichzeitig mit dem Erfolg als Dirigent einher ging. Seitdem gehört Pierre Boulez zu den prägenden Gestalten des zeitgenössischen Musikgeschehens. Er hinterließ deutliche Spuren in der Neuen Musik als Gründer des Ensemble Intercontemporain, half als Leiter des Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) im Pariser Centre Pompidou dem Nachwuchs auf den Weg, dirigierte viele namhafte Orchester der Gegenwart und hat seit 1989 damit auch zahlreiche Aufnahmen für die Deutsche Grammophon verwirklicht.
Einige davon wurden nun anlässlich des Jubiläum in sorgfältig edierten CD-Boxen zusammengefasst, die jeweils bestimmte Aspekte von Boulez' Oeuvre speziell beleuchten. „Boulez Conducts Bartók“ fasst auf acht CDs über rund 15 Jahre hinweg entstandene Aufnahmen zusammen, mit denen er überwiegend an der Spitze des Chicago Symphony Orchestras Kernstücke des ungarischen Genius interpretiert. Ebenfalls umfassend hat er sich für die Deutsche Grammophon über die Jahre mit Werken von Igor Stravinsky beschäftigt, die eine Box im 6 CDs-Umfang füllen. Brandneu hingegen wird im Herbst eine Aufnahme der „Sinfonie Nr. 3 ‘Song Of The Night’“ und des „Violinkonzerts Nr. 1“ aus der Feder von Karol Szymanowski erscheinen, die gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern und dem Geiger Christian Tetzlaff als Solist entstanden ist und die Pierre Boulez erstmals vor Mikrofonen mit dem Schaffen des polnisch-ukrainischen Spätromantikers konfrontiert. Und mit Spannung kann man auch das Resultat einer prägnanten Zusammenarbeit erwarten, das ebenfalls ab Herbst erhältlich sein wird. Denn gemeinsam mit dem Pianisten Pierre-Laurent Aimard und dem Cleveland Orchestra hat sich Pierre Boulez den Klavierkonzerten von Maurice Ravel zugewandt, ergänzt um den Zyklus „Mirroirs“. Das ist viel zeitgemäße Kunst mit einem der wahren Maestros der musikalischen Gegenwart.
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