Als Grenzgänger mit gewaltiger Energie, ruhte Georg Solti erst, wenn er den bestmöglichen Klang seines Orchesters und die bestmögliche Interpretation eines bestimmten Werkes erreicht hatte.
Der Vulkan: Sir Georg Solti (1912–1997)
1912 in Budapest als György Stern geboren, war sein Leben schon früh von einer beklemmenden Rast- und Heimatlosigkeit geprägt. Als in den zwanziger Jahren eine Ungarisierungswelle über seine Heimatstadt rollt, ändert sein Vater den Nachnamen in Solti. Die Familie stammt aus Solt, einer kleinen Stadt in Zentralungarn, direkt an der Donau.
Die Namensänderung bietet dem Jungen Schutz vor dem Nationalismus jener Jahre. Noch gefahrenträchtiger ist in dieser Zeit jedoch seine jüdische Abstammung. Wachsenden Antisemitismus erlebt er schon in Ungarn, unter Miklós Horthy, 1938 rücken die Nazis immer näher. Dem jungen Solti, der gerade erst an der Budapester Oper debütiert hat, bleibt keine andere Wahl. Er muss ins Exil.
Er siedelt nach England über, dann in die Schweiz, dann nach Deutschland und wieder zurück nach England, wo er schließlich Wurzeln schlägt. Doch die ist zu einem Teil seiner Persönlichkeit geworden, er lebt im Moment und zieht eine persönliche Konsequenz – den inneren Brand löscht er mit Kunst.
Romantischer Charakter: Beharrliche Sehnsüchte
Mit ganzer Kraft stürzt er sich in die Musik, durchdringt Richard Wagner wie niemand sonst. Die reizbare Empfänglichkeit der Romantik liegt ihm. Ein sehnsuchtsvoll Hoffender, der von verzweifelten Anwandlungen heimgesucht wird, ist er auch. Doch Solti ist ein Romantiker, der die Sehnsucht nie aufgibt und immer wieder Erfüllung findet.
Das erlebt er schließlich auch in der Liebe. Um seine zweite Frau, die BBC-Moderatorin Valerie Pitts, wirbt er jahrelang, bis sie sich schließlich von ihrem Mann trennt und den Dirigenten heiratet. Zwei Töchter gehen aus der Ehe hervor.
Im Jahr 1969, zwei Jahre nach der Heirat mit Valerie Pitts ist Georg Solti ist immer noch beflügelt von der unverhofft erfüllten Liebe und hat nach einer großen Laufbahn als Operndirigent Lust auf neue Herausforderungen. Da schneit das Angebot aus Chicago ins Haus. Solti ahnt, dass es passt. Beim Chicago Symphony Orchestra ist man unvoreingenommen. Hier herrscht wahre Begeisterung für die Musik.
Überwältigendes Künstlerportrait: Solti beim Chicago Symphony Orchestra
Soltis Zeit in Chicago wächst sich zu einer Ära aus. Bis 1991 wirkt er bei dem US-amerikanischen Traditionsorchester und realisiert dort eine Meisteraufnahme nach der nächsten. Jetzt kann man diese Goldenen Jahre in einer beeindruckenden Gesamtedition bewundern. 20 Jahre nach dem Dahinscheiden des Dirigenten und 125 Jahre nach Gründung des Chicago Symphony Orchestra veröffentlicht Decca die Ausgabe zur Feier beider Jubiläen.
Die limitierte Edition umfasst 108 Tonträger, allesamt in CD-Hüllen verpackt, deren Coverdesign dem der Ersterscheinungen entspricht. Die Ausgabe enthält sämtliche Aufnahmen, die Solti mit dem Chicago Symphony Orchestra eingespielt hat. Ein gewaltiger Kosmos tut sich vor dem Hörer auf, der vor allem mit romantischer, hochemotionaler Orchestermusik beschenkt wird.
Beigefügt ist der edlen Ausgabe ein 180 Seiten starkes Buch, das sich durchweg unterhaltsam liest. Darin enthalten: einführende Worte von Soltis Ehefrau, Erinnerungen befreundeter Künstlerinnen und Künstler sowie bislang noch unveröffentlichtes Fotomaterial des Maestros. Ein überwältigendes Portrait einer wahrhaft großen Dirigentenpersönlichkeit!