Was kann über diese „Jahrhundertaufnahme“ eigentlich noch gesagt werden? Wie kann man ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung nachempfinden, welch brillante Leistung dem Dirigenten Sir Georg Solti und Produzenten John Culshaw zwischen 1958 und 1965 gelungen ist? Vielleicht kann man der bis heute anhaltenden Begeisterung über die erste komplette Studioaufnahme von Wagners „Ring des Nibelungen“ wirklich nichts mehr hinzufügen. Doch man kann ihre Geschichte noch einmal Revue passieren lassen und die Faszination, die seit jeher von ihr ausgeht, neu entdecken. „Es gibt so ein unglaubliches Repertoire an großartiger Musik aus den letzten 400 Jahren, dass wir uns auch in Zukunft nicht langweilen und sie noch ewig spielen werden“, äußerte Solti einmal in einem Interview über den zeitlosen Genius der ganz großen Komponisten, zu denen Richard Wagner ohne jeden Zweifel zählt. Höhepunkte aus Sir Georg Soltis einst auf Schallplatte erschienener Aufnahme werden jetzt speziell für iTunes gemasteredneu veröffentlicht. „Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen – Große Auszüge“bietet einen Querschnitt aus der ersten Gesamtaufnahme des „Rings“ überhaupt.
John Culshaws „Hörkino“ setzte Maßstäbe
Als Georg Solti 1958 zusammen mit den Wiener Philarmonikern und Produzent John Culshaw mit den Aufnahmen begann, existierte nur die Studioaufnahme der „Walküre“ unter Wilhelm Furtwängler – zu riskant schien es bis dato, Wagners Opus magnum ungekürzt auf Schallplatte zu veröffentlichen. Doch bei John Culshaw lag das Projekt quasi in klangmeisterlichen Zauberhänden. Als einer der Pioniere moderner Aufnahmetechnik vermochte er aus Wagners Opernzyklus ein eigenes Klangkunstwerk zu erschaffen, ein „theatre of mind“, wie Culshaw es nannte, für dessen Umsetzung er außergewöhnliche Anstrengungen unternahm. So ließ er beispielsweise für die dritte Szene aus dem „Rheingold“ speziell nach Wagners Intentionen mehrere Ambosse anfertigen, organisierte einen Waisenchor für die klagenden Rufe der Nibelungen und bildete mithilfe von Zinnblöcken den Klang von Gold nach. Für den „Ring“ von 1958 erhielten sowohl Culshaw als auch Solti einen Grammy. Zweimal wurde er zur besten Aufnahme aller Zeiten gewählt, erstmals im Jahr 1999 von den Lesern des Magazins Grammophone und 2011 von Musikkritikern für das BBC Music Magazine.
Aufnahme für die Ewigkeit
Mit dem ungarischen Dirigenten und dem britischen Produzenten, die sich bereits seit Ende der 1940er Jahre kannten und schätzten, arbeitete ein Duo zusammen, dem nicht nur an technischer Genauigkeit gelegen war, sondern auch an atmosphärischer Spannung. „Ich glaube nicht ans Zusammenschneiden. Ein kleines Detail macht nicht die ganze Aufnahme besser, auch nicht, wenn wir es verbessern. Am Ende zählt die Seele des aufgenommenen Satzes, nicht seine einzelnen Teile“, so Solti in einem Interview zur Frage nach der perfekten Aufnahme. Die persönliche Handschrift des Dirigenten, die von leidenschaftlichem Temperament und starkem Ausdruckswillen geprägt war, verleiht Wagners „Ring“-Tetralogie außerordentliche Dramatik und Explosivität. „Für ein Konzert spielen wir und danach ist wieder alles verschwunden, bei einer Aufnahme aber wissen wir, dass sie noch lange existieren wird. 20, 30, 40 Jahre – Gott weiß, wie lang.“ Über ein halbes Jahrhundert hat sich die legendäre Studioproduktion nun schon behauptet. Unter Mitwirkung großer Wagner-Stimmen des 20. Jahrhunderts – Birgit Nilsson, Wolfgang Windgassen, Kirsten Flagstad, Gustav Neidlinger, Marianne Schech, um nur einige zu nennen – entstand ein Gesamtkunstwerk, das nichts von seiner Magie verloren hat.