Damit große Musik entstehen kann, müssen unwahrscheinlich viele Voraussetzungen erfüllt sein. Mindestens muss es einen begnadeten Komponisten geben, der ein brillantes Werk geschaffen hat, bedeutende Interpreten, die diesem Werk gewachsen sind, und ein Quäntchen Glück, das für jegliches Gelingen in der Kunst unabdingbar ist.
Legendäre Interpretation: Soltis Tannhäuser
In Georg Soltis legendärer Interpretation von Wagners romantischer Oper “Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg” kommt all dies zusammen. Der ungarische Dirigent war ein Wagner-Interpret von Gottes Gnaden. Am Pult überzeugte er mit explosiver Vitalität und dem unbedingten Willen, jedes Detail in Wagners Klangpoesie nachzuvollziehen. Mit seiner Gefühlsoffenheit steckte Solti seine Orchester und Sängerstars gleichermaßen an.
In kaum einer Aufnahme sind diese Synergien so intensiv zu erleben wie in Soltis Tannhäuser mit den Wiener Philharmonikern und René Kollo in der Titelrolle. Das Orchester zeigt sich “in überragender Form” (Gramophone), und René Kollo singt einen hinreißenden Tannhäuser.
Der noble Wagner-Tenor fühlt sich ausgezeichnet in die innere Zerrissenheit seines Helden ein, der zwischen Gefühlen sinnlichen Begehrens und dem Wunsch nach Unschuld zerrieben zu werden droht. Verführt wird Tannhäuser von der Göttin der Liebe, Venus, die von Christa Ludwig brillant gesungen wird. Die große Mezzosopranistin verleiht der Rolle einen ungemein verführerischen Charme.
Wunder der Technik: Decca-Sound auf vier Kanälen
Dass sich die Dramatik des Bühnengeschehens in Soltis Aufnahme so großartig vermittelt, ist allerdings nicht allein der sängerischen Klasse dieser Tannhäuser-Besetzung geschuldet, sondern auch den technischen Ressourcen von Decca. Das Label hat seit jeher großen Wert auf hohe Aufnahmequalität gelegt. Es entwickelte einen ureigenen Klang, der als Decca-Sound in die Geschichte einging. Mit der audiophilen Neuauflage von Soltis Wagner-Klassiker knüpft Decca direkt an seine große Tradition an und überbietet diese sogar noch.
Die gerade erschienene Ausgabe greift auf bislang nie veröffentlichte Tapes zurück, die im sogenannten quadrophonischen Verfahren hergestellt wurden. Sinn dieser Technik ist ein authentischer Raumklang, der durch vier Kanäle bei der Aufnahme und Wiedergabe erzielt werden soll. Die quadrophonischen Tapes von Soltis Tannhäuser wurden 1970 aus experimentellen Gründen angefertigt. Sie blieben im Archiv liegen, weil sich der hohe ökonomische Aufwand der Veröffentlichung unter analogen Bedingungen nicht rechnete.
Moderner Wagner-Sound: Die Pariser Fassung
Im digitalen Zeitalter ist dies Geschichte. Der ehemalige Decca-Ingenieur Paschal Byrne hat die Bänder auf eine Blu-ray Audio Disc gebannt. Neu gemastert im Format 24-bit/96kHz, ist Soltis Tannhäuser jetzt im 5.1 Surround Sound zu erleben. Ein sensationelles Ereignis, holt der kinoartige Raumklang das musikalische Geschehen doch ganz nah an die Hörer heran. Die Essenz des klassischen Decca-Sounds erlebt man aber auch auf den drei CDs der limitierten Hardcover-Edition, auf deren Vorderseite übrigens das Original-Cover der Erstausgabe prangt.
Zur technischen Finesse dieser Edition fügt sich die modernere Pariser Fassung des Tannhäuser, auf die Solti in seiner Aufnahme zurückgreift. Richard Wagner hatte rund 15 Jahre nach Fertigstellung seiner Oper kühne Umarbeitungen an seiner Partitur vorgenommen. Das unterhaltsame Booklet der Edition informiert eindringlich über diesen Korrekturprozess. Darüber hinaus stößt man in dem Büchlein auf das Libretto der Oper sowie auf überaus reizvolle Fotos einiger ausführender Künstler und des Dirigenten.