Mit dem Namen Sir John Eliot Gardiner verbindet sich seit mehr als 50 Jahren nicht nur der Ruf eines Bach- und Beethovenspezialisten, sondern zugleich der eines unglaublich vielseitigen Musikers mit höchsten Ansprüchen. Sein musikalisches Vermächtnis an Aufnahmen für Deutsche Grammophon und ARCHIV Produktion reicht vom Barock bis in die Moderne. Es in seinem ganzen Umfang, der unglaublichen Vielfalt erleben zu können, ermöglicht die jetzt erscheinende monumentale 104-CD-Gesamtedition mit allen Aufnahmen Sir John Eliot Gardiners für die ARCHIV Produktion und die Deutschen Grammophon, die sprichwörtlich keine Wünsche offenlässt.
Einen großen Anteil der in dieser Box gesammelten Aufnahmen nimmt die Musik
Johann Sebastian Bachs ein. Neben dem “Weihnachtsoratorium”, den beiden Passionen nach Johannes und Matthäus, der “h-Moll-Messe” und dem “Magnificat” war es vor allem das Kantatenwerk Bachs, dem Gardiners Interesse galt. 40 davon finden sich in dieser Box, darunter der “Actus Tragicus” (BWV 106) und
Bachs älteste erhaltene Weihnachtskantate “Christen ätzet diesen Tag” (BWV 63).
Für Gardiner kam von Anfang an nur eine Möglichkeit in Frage, die Musik Bachs aufzuführen: mit historischen Instrumenten und er unternahm alles, diesen Anspruch umsetzen zu können – 1969 gründete er den Monteverdi Choir und 1978 die English Baroque Soloists, die auf Originalinstrumenten spielten. Mit diesen beiden Ensembles realisierte er seine Klangvorstellungen für Bachs Musik.
Das Abenteuer “Ludwig van Beethoven”
Auf das Abenteuer
“
Ludwig van Beethoven” hatte sich Gardiner bereits 1989 eingelassen. Damals nahm er zunächst die “Missa Solemnis” op.123 auf und ein Jahr später deren “kleine Schwester”, die „Messe in C-Dur“ op.86. Für seine kompletten Beethovenaufnahmen beschäftigte er sich intensiv mit der Frage des Orchesterklangs. Die “üppige Oberflächenpolitur” des modernen Sinfonieorchesters entsprach schon damals nicht seiner Auffassung vom Klangideal für Beethovens Musik. Und so gründete er 1989 das “
Orchestre Révolutionnaire et Romantique”, das ebenfalls auf Alten Instrumenten spielt. Es entspricht in etwa dem 1828 von François Habeneck in Paris gegründeten “Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire”, dessen notengetreuen Aufführungen Maßstäbe für Gardiner
setzten. Denn auch er richtete sein Hauptaugenmerk auf die Tempi des Komponisten. Beethoven selbst hatte oft starke Zweifel, dass seine Angaben auch tatsächlich befolgt würden. Für Gardiner selbst war es unvorstellbar, Notenmaterial für die Aufführungen der Sinfonien zu nutzen, die nicht Beethovens Autografen oder den von seiner Hand korrigierten Erstausgaben entsprach. Der Beethoven-Zyklus der ARCHIV Produktion von 1994, den Gardiner mit diesem Orchester einspielte, war nichts weniger als eine Sensation. Ebenso der Zyklus der 5 Klavierkonzerte mit
Robert Levin am Hammerklavier. Zu den kompletten Beethovenaufnahmen Gardiners, die allein 15 CDs dieser Box ausmachen, zählen außer dem Violinkonzert mit
Viktoria Mullova auch noch “Chorfantasie” sowie “Leonore” op. 72 Beethovens zweiaktige Oper in der Fassung von 1806.
Gardiner und der Gesang
Dass Gardiners
musikalische Entwicklung sehr eng mit dem Gesang
zusammenhing, spiegelt sich in zwei weiteren gewichtigen Schwerpunkten dieser Box wider. Da sind zum einen die
Oratorien wie Monteverdis “Vespro della Beata Vergine
” – ein Schlüsselwerk für die Entwicklung Gardiners –
Händels “Acis and Galatea” und “Hercules” sowie die beiden
bedeutendsten Vertreter der Gattung in der Klassik,
Haydns “Schöpfung” und die “Jahreszeiten”. Einen besonderen Stellenwert in dieser Box nehmen die Opern
ein. Von
Monteverdis “L’Orfeo” und “L’incoronazione di Poppea”, über
Purcells “The Fairy Queen” bis hin zu
Mozarts “Idomeneo”, “Die Entführung aus dem Serail”, “Le nozze di Figaro”, “Don Giovanni”, “Così fan tutte”, “La clemenza di Tito” und “Die Zauberflöte” reicht der Bogen.
Eine Herausforderung für alle Gesangsensemble sind immer wieder
Bruckners fünf a-cappella-Motetten. Sie, die völlig zu Unrecht im Schatten seiner großen Sinfonien stehen, offenbaren nicht nur die tiefe Religiosität des Komponisten, sondern auch seine damit eng verbundene Fähigkeit, ihr einen stimmlichen, bewegenden Ausdruck zu verleihen. Die 2001 veröffentlichte Aufnahme zeigt, wie sehr sich Gardiners Monteverdi-Choir dieses Anliegen zu eigen machte.
Ähnlich herausfordernd das dreiteilige a-capella-Stück “Hymn to St. Cecilia” op. 27, die Benjamin Brittens weniger als Lobgesang an die Schutzpatronin der Musik im traditionellen Sinne komponierte. Vielmehr ging es ihm darum zu zeigen, welch eine erhebende und tröstliche Wirkung die Musik bei Ängsten und leidvollen Seelenzuständen haben kann. Einmal mehr erweist sich hier die Klasse Gardiners als Chordirigent.
Erneute kreative Partnerschaft
Die Box als Fazit seiner bisherigen Partnerschaft mit DG enthält auch Aufnahmen des klassischen, romantischen und modernen Repertoires – von Schubert, Dvorak bis zu Strawinsky und Boulanger. “Ich blicke mit großem Stolz auf die vielen Aufnahmen zurück, die wir gemeinsam mit dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists und dem Orchestre Révolutionnaire et Romantique gemacht haben”, sagt Sir John Eliot Gardiner. Umso erfreulicher für alle Beteiligten, dass nach einer Pause von mehr als 20 Jahren die Zusammenarbeit mit dem Gelben Label wieder aufgenommen wird. Die erneute Partnerschaft mit John Eliot Gardiner trägt bereits erste, wunderbare Früchte: 35 Jahre nach seiner Aufnahme für die ARCHIV Produktion brachte er jetzt Bachs “Johannes-Passion” für “DG Stage – The Classical Concert Hall” zur Aufführung. Das Konzert Sir John Eliot Gardiners mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists fand auf der Bühne des historischen Sheldonian Theatre in Oxford statt. Für Gardiner ist die “Johannes-Passion” bis heute von ganz besonderer Bedeutung: “Bach hat sie sowohl als eine musikalische Andacht als auch als künstlerisches Zeugnis gelebten Glaubens geschrieben. Nach wie vor, selbst 300 Jahre nach seiner Entstehung, bewegt das Werk die Menschen, ob gläubig oder nicht.”