Der klassische Konzertbetrieb erfuhr während der Corona-Lockdowns schmerzliche Einschnitte. Umso emotionaler gestaltete sich der Moment, als die Musik auf die Bühne zurückkehrte und in neuer Intensität erlebt werden konnte. Die verletzliche Stimmung eines behutsamen Aufbruchs prägte auch den Karfreitag im Jahr 2021, als
John Eliot Gardiner mit dem
Monteverdi Choir und den
English Baroque Soloists nach langer, pandemiebedingter Auftrittspause erstmals wieder die Bühne betrat, um vor virtuellem Publikum im Netz öffentlich zu musizieren. Auf dem Programm: die Johannes-Passion von
Johann Sebastian Bach, eines der mächtigsten Oratorien des legendären Thomaskantors. Ort der Aufführung: das in den 1660er Jahren errichtete, prachtvolle
Sheldonian Theatre in Oxford, aus dem
DG-Stage, die Online-Bühne von
Deutsche Grammophon, das Ereignis per Live-Stream in alle Welt übertrug.
“Osterwunder von Oxford”
Die Presse reagierte mit überschwänglicher Begeisterung auf das Konzert. So zeigte sich die Londoner Tageszeitung The Times von der “maximalen emotionalen Wirkung” beeindruckt, die Gardiner erziele, und das Onlinemagazin Bachtrack feierte die Aufführung als “Osterwunder von Oxford”. Umso erfreulicher ist es, dass jetzt ein Live-Mitschnitt der Aufführung erscheint. Deutsche Grammophon hat eine Deluxe-Edition des denkwürdigen Konzertevents veröffentlicht. Digital kommt zusätzlich eine Höraufnahme heraus. Die physische Ausgabe umfasst zwei CDs und eine Blu-ray Disc. In dieser Deluxe-Edition ist das Konzert als Film und als Hör-Ereignis in verschiedenen audiophilen Klangformaten erlebbar.
John Eliot Gardiner ist von der sinnlichen Qualität des 3D-Sounds begeistert: “Dank Dolby Atmos®”, bemerkt der britische Dirigent, “konnten wir auch die räumliche Wirkung einfangen, sodass alles unglaublich lebendig klingt.”
Liebe, Schmerz, Versöhnung
Die Aufnahme von 2021 ist Gardiners dritte Einspielung der Johannes-Passion. Dass es eine besondere ist, die vor dem Hintergrund der Pandemie eine ungeahnte Intensität entfaltet, spürt man sofort. Komponiert für vierstimmigen Chor, Gesangssolisten und Orchester, kreist das Oratorium, orientiert am Evangelienbericht des Johannes, um die Gefangennahme und Kreuzigung Jesu Christi. Das Thema der Sterblichkeit ist allgegenwärtig. Zugleich gemahnt die Johannes-Passion, bei allem Schmerz, an die versöhnende Eigenschaft der Liebe und entfaltet eine eigentümlich tröstende Wirkung.
Gardiner, der die opernhafte Seite des Werks betont, macht die Johannes-Passion als überwältigendes Musikdrama erlebbar. Dazu tragen seine jungen Sängersolisten maßgeblich bei. Mit Ausnahmebegabungen wie dem entschieden deklamierenden Tenor Nick Pritchard, der als einer der großen Evangelisten der Zukunft gehandelt wird, oder der grazilen Sopranistin Alison Ponsford-Hill weiß Gardiner Stimmen an seiner Seite, die den schmerzlichen und tröstlichen Sinn von Bachs geistlicher Musik tief verinnerlicht haben.