Tigran Mansurian | News | Lichter im Dunkel der Geschichte – Kim Kashkashian mit Kammermusik von Tigran Mansurian

Lichter im Dunkel der Geschichte – Kim Kashkashian mit Kammermusik von Tigran Mansurian

Tigran Mansurian
04.11.2020
Seine Musik ist von enormer “spiritueller Intensität” (Los Angeles Times). Jetzt veröffentlicht die US-amerikanische Bratschistin Kim Kashkashian gemeinsam mit dem armenischen Geiger Movses Pogossian ein ECM-Album mit kammermusikalischen Preziosen von Tigran Mansurian.
Der Komponist Tigran Mansurian ist stark geprägt von der folkloristischen und liturgischen Tradition Armeniens. Seine Werke, so der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani in einem SPIEGEL-Artikel, klingen “ganz anders, als es ein westliches Konzertpublikum von Neuer Musik erwartet, gefühlvoll, ja sogar oft tragisch, ohne je melodramatisch zu sein, wie eine einfache Weise oder ein Kinderlied tragisch klingen kann”. Die dunkle Seite seines Komponierens ist Mansurians Herkunft geschuldet. Der Komponist entstammt einer armenischen Familie, die unter der osmanischen Besatzung massiv zu leiden hatte. Die Last dieses Erbes ist in vielen seiner Arbeiten spürbar, am erschütterndsten vielleicht in seinem Requiem, das er den Opfern des Völkermords an den Armeniern widmete und das 2017 in einer viel beachteten Einspielung des Münchener Kammerorchesters und des RIAS Kammerchors unter der Leitung von Alexander Liebreich bei ECM New Series in München erschien. 
In seiner instrumentalen Kammermusik macht sich Mansurians Trauer eher indirekt bemerkbar. Sie erfährt dort durch verträumtes Schweifen und poetische Zwischenrufe von zarter Innigkeit immer wieder tröstende Aufhellungen. Dafür ist das gerade erschienene Album von Kim Kashkashian ein beredtes Zeugnis. Die US-amerikanische Bratschistin hat gemeinsam mit dem armenischen Geiger Movses Pogossian kammermusikalische Preziosen von Tigran Mansurian zusammengestellt, die ein breites Stimmungsspektrum offenbaren.
Künstlerfreunde
Den äußeren Anlass für das Aufnahmeprojekt, das die beiden Solisten im Vorjahr mit einer erlesenen Schar von Streichern und Pianisten an der UCLA Herb Alpert School of Music verwirklichten, bildete der 80. Geburtstag des Komponisten. Musikalisch lag ein gemeinsames Album von Kim Kashkashian und Movses Pogossian mit Werken von Tigran Mansurian indes schon länger in der Luft. Die beiden Solisten lernten einander vor knapp 15 Jahren über den Komponisten kennen. Beide sind voller Bewunderung für Tigran Mansurian und haben sich schon eindringlich mit seinem Werk befasst: Pogossian als Direktor eines armenischen Musikprogramms an der University of California, Kashkashian mit zahlreichen Aufnahmen seiner Werke, darunter das bekannte ECM-Album “Monodia” (2004), das die Bratschistin gemeinsam mit dem norwegischen Saxophonisten Jan Garbarek und dem britischen Gesangsquartett The Hilliard Ensemble aufnahm.  
Meditative Selbstberuhigung 
Die lange Vertrautheit mit dem eigenwilligen Stil des armenischen Komponisten merkt man dem neuen Album jederzeit an. Kashkashian und Pogossian durchschreiten die impressionistisch gezeichneten Klanglandschaften Mansurians mit natürlicher Selbstverständlichkeit. “Con anima”, so der Titel ihrer Veröffentlichung, enthält vornehmlich Werke, die Mansurian nach der Jahrtausendwende geschaffen hat. Mit dem hochgespannten Streichquartett Nr. 3 von 1993 ist aber auch eine ältere Arbeit des Komponisten zu hören. 
Erstaunlich ist, wie sich durch Mansurians verhangene Klangpoesie immer wieder das Licht bricht, mal, wie im “Agnus Dei” (2006), durch eine schöne Melodie, ein anderes Mal, wie im “Streichtrio” (2008), durch sanftes Verklingen. In Werken wie dem Sextett “Con anima” (2006–7) oder “Die Tänzerin” (2014) für Geige und Bratsche dominiert eine heitere Atmosphäre. 
Dagegen changiert die “Sonata da Chiesa” (2015) für Bratsche und Klavier zwischen ruhiger Zuversicht und tiefem Schmerz. Kim Kashkashian verleiht der Bratschenstimme im Andante eine berührende Intensität. Es ist, als ob ihr melancholisches Drängen beharrlich an etwas erinnert, das kaum noch jemand versteht. Das Ende der Sonate ist wie ein Hauch, eine meditative Selbstberuhigung, die der Düsternis durch Stille beizukommen sucht.

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