“Ariadne auf Naxos“ ist eine Oper in der Oper. So jedenfalls haben es sich Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hoffmannsthal gedacht, in deren Oeuvre das Werk eine Sonderstellung einnimmt. Denn die Oper ist mit nur 36 Orchestermusikern nicht nur ungewöhnlich kompakt orchestriert, sondern stellt als Sammelsurium unterschiedlicher Stileinflüsse von der Commedia dell’Arte über die Klassik/Antike bis zum zeitgenössischen Kontext ein buntes Tableau gestalterischer Möglichkeiten dar. Die 1988 in Leipzig entstandene Aufnahme mit dem Gewandhausorchester unter der Leitung von Kurt Masur schöpft dabei musikalisch aus den Vollen, zumal nicht nur ein souveränes Ensemble, sondern auch ausgezeichnete Solisten zur Verfügung standen. Die Titelrolle sang Jesse Norman, die Zerbinetta Edita Gruberova. Den Komponisten mimte Julia Varady, seinen Lehrer Dietrich Fischer-Dieskau.
Eine Traumbesetzung, wie sie Richard Strauss gefallen hätte – was auch für “Elektra“ gilt, das zweite Werk des Komponisten, das in diesem Herbst in der Reihe “Decca Opera“ erscheint. Es wurde im selben Jahr aufgenommen, nur diesmal in Boston mit Seiji Ozawa am Pult des Boston Symphony Orchestra. Die Titelrolle hatte Hildegard Behrens übernommen, deren Vehemenz und Ausdrucksvielfalt zu einem Maßstab der Darstellung wurde. Denn diese Opernwelt ist eine expressionistische Chimäre, die für die Darsteller eine extreme Anstrengung darstellt, um die latente Spannung und Aggression der Geschichte glaubhaft zu machen. Neben Hildegard Behrens mimte die große Christa Ludwig eine eindrucksvolle Klytämnestra und Nadine Secunde die zwischen allen Stühlen der Emotion sitzende Chrysothemis. Diesem Dreigestirn der Weiblichkeit setzten Jorma Hynninen als rächender Orest und Ragnar Ulfung als zurückhaltender Ägist eine Männerwelt entgegen, deren Glanz sich nicht mit dem der Frauen messen kann. Besonders dann, wenn eine Jahrhundert-Darstellerin wie Hildegard Behrens die Titelpartie singt.
So wie Richard Strauss hatte auch Richard Wagner seine eigene Vorstellung von Weiblichkeit. Dabei ist der “Lohengrin“ eine der intimsten Opern des Komponisten, die im Verhältnis von Elsa und Lohengrin von den Freuden der wahren Liebe handeln könnte. Andererseits ist sie aber auch eine Geschichte des Scheiterns, die in Form des Zweifels, also des abfallenden Glaubens und der letztlich ihrer Aufgabe nicht gewachsenen Elsa, und vor allem durch die Bosheit der Intrige in Gestalt der rachsüchtigen Ortrud die Erlösung des Menschen verhindert. Der “Lohengrin“ ist damit eines der faszinierendsten Musikdramen der Hochromantik. Und er lässt Raum für zahlreiche Fantasien der Interpreten, die ihn auf die Bühne bringen. Der Kontrast von Gralsritter und dunklem Mittelalter des 10.Jahrhunderts, von Fragen der spirituellen und realen Befreiung, letztlich von Mythos und Wirklichkeit bietet die Möglichkeiten für umfassende Deutungen in die unterschiedlichsten ästhetischen Richtungen. Im Jahr 1962 schaffte es die damals gerade 22jährige Anja Silja eine derart überzeugende Elsa zu verkörpern, dass diese Inszenierung schnell zu einem Klassiker der Operngeschichte avancierte. Dazu trugen auch Jess Thomas in der Titelrolle und Ramon Vinay als Friedrich von Telramund bei, vor allem aber Wolfgang Sawallisch als Dirigent der Orchesters der Bayreuther Festspiele, dessen zugleich zupackende und differenzierte Darstellung bis heute fasziniert.
Auch George Gershwins “Porgy & Bess“ spielt überzeugend mit großen Gefühlen. Während der New Yorker Uraufführung der Oper am 10. Oktober 1935 sollen viele Zuhörer mit Tränen in den Augen die rührende Liebesgeschichte des ehrlichen Krüppels und seiner schönen, aber unsteten Frau verfolgt haben. Die Kritik jedoch war konsterniert und wetterte bis auf wenige Ausnahme gegen das für damalige Verhältnisse unkonventionelle Werk. Gershwin griff daraufhin selbst zur Feder und kommentierte seine Oper in der New York Times: „’Porgy And Bess’ ist eine Erzählung aus dem Volk. Und weil sie vom Leben der Schwarzen in Amerika erzählt, fügt sie der Opernform Elemente hinzu, die noch nie zuvor in der Oper vorhanden waren“. Mit anderen Worten: Sie ist inhaltlich ein Genrestück, stark typisiert, das sich strukturell jedoch neue Nischen geschaffen hat. Lorin Maazel weiß das und hat es mit dem Cleveland Orchestra geschafft, eben diesen Gegensatz von Festlegung und Offenheit herauszuarbeiten. Und er hatte ein herausragendes Team – allen voran Williard White als Porgy, Leona Mitchell als Bess und McHenry Boatwright als Crown -, um damit einen Klassiker der Interpretation zu schaffen.
Als fünftes Werk im Herbst ist schließlich Leoš Janačeks Dostojewskij-Vertonung “Aus einem Totenhaus“ im Programm der Reihe “Decca Opera“. Zu Lebzeiten wenig geschätzt, setzte erst in der Nachkriegsära eine neue Sichtweise auf die Bühnenwerke des tschechischen Komponisten wie beispielsweise seine späten Opern ein, die inzwischen zu den Meisterwerken der nachromantischen Klanggestaltung gehören. Ihren Teil dazu haben auch die Interpretation von Sir Charles Mackerras beigetragen, die während der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre zusammen mit den Wiener Philharmonikern entstanden. So gilt Leoš Janaček heute als einer der großen Synoptiker und Visionäre der diffusen Stilwelt des Jahrhundertbeginns und die Einspielungen unter Mackerras' Ägide mit Solisten wie Ivo Žídek, Dalibor Jedlièka, Jiøí Zahradníèek oder Václav Zítek sind Referenzaufnahmen seiner Opern.