Die griechische Komponistin Eleni Karaindrou ist bekannt für ihre eindringlichen Filmmusiken. Sie hat zahlreiche Autorenfilme mit ihrer eigentümlich elegischen Ästhetik ausgestattet. Zu ihren wichtigsten Kooperationspartnern zählte dabei zweifellos der 2012 verstorbene griechische Filmemacher Theo Angelopoulos, dessen Faible für eine Poesie der Langsamkeit und für äußerste bildliche Verdichtung sie musikalisch kongenial nachvollzog. Darüber hinaus hat sie mit Filmgrößen wie Jules Dassin, Chris Marker und Margarethe von Trotta zusammengearbeitet und sich als flexible Komponistin erwiesen, die sich auf neue Stoffe einzulassen vermag und mit ihrer Kunst gerne auch Neuland betritt.
Bewegliches Denken: Eleni Karaindrou
Von dieser Beweglichkeit ihres Denkens profitiert auch ihr neuestes Album, das soeben beim Münchener Label ECM New Series erschienen ist. “Tous des oiseaux”, so der Titel dieser Veröffentlichung, offenbart ein enormes Spektrum poetischer Stimmungen. Man spürt auf Anhieb, dass die Komponistin sich vielfältigen dramatischen Stoffen widmete, als sie diese Klänge schuf. Ausgangspunkt des neuen Albums sind zwei Werke, die Eleni Karaindrou in den letzten Jahren komponierte. Sie steuerte die Musik zu dem Theaterstück Tous des oiseaux (2017) des libanesisch-kanadischen Schriftstellers Wajdi Mouawad und zu dem Film Bomb, A Love Story (2018) des iranischen Schauspielers und Regisseurs Payman Maadi bei. Der Score zu Bomb war die erste kinematographische Arbeit überhaupt, die Eleni Karaindrou nach dem für sie einschneidenden Tod des griechischen Regisseurs Theo Angelopoulos in Angriff nahm.
Tastende Zuversicht: Die Musik zu dem Film “Bomb, A Love Story”
Der Film spielt während des iranisch-irakischen Kriegs der 1980er Jahre. Teheran wird von heftigen Bombeneinschlägen heimgesucht, und doch versuchen die Menschen, ihr gewöhnliches Leben zu leben, sind auf der Suche nach Liebe, Glück und Erfüllung. Es geht darum, im Angesicht permanenter Todesgefahr einen hoffnungsvollen Weg zu finden. Eleni Karaindrou kontrastiert düster gespannte Atmosphären der Angst mit sanft fließenden Klängen einer diskreten Zuversicht. Neben herzzerreißend wehmütigen Stücken hört man tastend optimistische Klänge. Alles ist sehr zart, verletzlich, selbst wenn, wie im “Waltz of Hope”, wieder getanzt wird. Gefühle der Liebe kommen in “Love’s First Call” auf, hier mit Eleni Karaindrou am Klavier, die zu den bergenden Akkordeon-Klängen von Dinos Hatjiiordanou eine anmutige Melodie anstimmt.
Momente des Aufbegehrens: Theatermusik zu “Tous des oiseaux”
Dominieren in der Musik zu Maadis Film die introvertierten Klänge, so spürt man in der Komposition zu “Tous des oiseaux” auch Momente expressiven Aufbegehrens. Das Drama um den jüdischen Fundamentalisten David, der seinem Sohn die Heirat mit einer Araberin verbietet, selbst jedoch, wie sich später herausstellt, ein arabisches Findelkind ist, steckt voller menschlicher Abgründe und romantischer Sehnsüchte. Der zwischen Klage und Verlangen changierende, wortlose Gesang von Savina Yannatou bringt diese emotionale Tiefe des Dramas in Stücken wie “Lament” oder “The Wind of War” überzeugend zur Geltung. Eleni Karaindrou war zunächst skeptisch, ob das Kompositionsmaterial zu den beiden Projekten auf einem Album zusammenfinden kann. Es war Manfred Eicher, der sie von dieser Idee überzeugte.
Kunst der Album-Dramaturgie: Manfred Eicher
Die griechische Komponistin arbeitet seit über dreißig Jahren mit dem Münchener Produzenten zusammen. Frucht dieser Zusammenarbeit sind Meilensteine der New Series, wie “Music for Films” (1991) oder “Concert in Athens” (2013). “Manfred Eicher ist ein wichtiges Kapitel in meinem Leben”, so Eleni Karaindrou. Der ECM-Produzent besitze eine spezielle Gabe, Album-Dramaturgien zu entwickeln – Dramaturgien, die sich von den Filmen oder Theaterstücken grundlegend unterscheiden. Eine solche Dramaturgie vermittelt sich dem Hörer auch auf dem neuen Album von Eleni Karaindrou, denn so unterschiedlich die beiden Kompositionen, die “Tous des oiseaux” vereint, auch sind, so deutlich zeichnen sich die Verbindungen ab, wenn man das Album in einem Zug durchhört. Es ist eine sehr besondere, verletzliche Atmosphäre, die sich durch das Album zieht, eine Atmosphäre, in der ganz zarte Pflanzen der Zuversicht blühen.